Schatten im Zwielicht - Zwischen Auftrag eins und zwei

Svea plumpste aus seinem Griff zurück auf die Erde, landete unsanft auf dem Hosenboden und statt aufzustehen wirbelte sie sich nur zur Seite, um ihm damit die Füße unter dem Körper weg zu ziehen. Hart kollidierten seine Unterschenkel mit ihren und sie fluchte. Schild und Axt, das führte sie, aber Raufereien und Schlägereien kamen kaum noch vor in ihrem Leben und der Schmerz war ... erhellend. Auf eine sehr merkwürdige Art und Weise reinigend. Sie kämpfte sich auf die Füße, ignorierte, wie nass sie war, weil sie beide in der Pfütze gelegen hatten, die Ôle nicht getroffen hatte und sah zu ihm hinunter, die Fäuste geballt. "Na los! Trau dich doch!"

Ôle betrachtete die über ihm stehende Svea, kämpfte sich dann wieder auf die Füße und stürzte sich auf sie. Die andere wich aus und verpasste ihm einen derartigen Schlag in die Nieren, dass ihm die Luft wegblieb. Er keuchte, ehe er herumwirbelte. Sie hatte eine enorme Kraft entwickelt und er fragte sich, ob ihr Gott sie nicht mit seinen Gaben gesegnet hatte. Noch immer schmerzte seine Seite, als er erneut auf sie zurannte, antäuschte und dann wieder zuschlug. Sie versuchte abzuwehren, schien jedoch einen Schild an ihrem Arm zu erwarten, so dass sein Schlag gegen ihren Unterkiefer krachte.

Knirschend trafen ihre Zähne aufeinander und nur purem Glück konnte sie es wohl verdanken, keinen davon eingebüßt zu haben. Jedenfalls schmeckte sie noch kein Blut. Aber ihr Blut kochte dafür umso mehr, viel wilder, als zuvor und mühsam hielt sie es im Zaum, es gab keinen Grund, jetzt unvorsichtig mit dem Zeichen zu werden für etwas, was nichts mit ihrer Aufgabe sondern nur mit ihrem reinen Selbst zu tun hatte. Der Ärger und die Wut mussten irgendwo hin, gefolgt von den ganzen Fragen in ihrem Kopf, die sie niemandem stellen konnte, weil niemand eine Antwort hatte, wohin in dieser Welt sie auch bisher gegangen war.
Umdenken stand also auf dem Plan. Sie fixierte Ôle für einen kurzen Moment, brachte sich dann besser in Position, um ihm nicht mehr so viel Angriffsfläche zu bieten und atmete tief durch, was mehr oder weniger nur dazu führte, dass sich ihr Brustkorb einmal höher hob, dafür aber immer noch im gleichen, schnellen Tempo wie ihr Herz.
"Los!", forderte sie ihn auf. "Schwächelst du etwa schon?!" Sie wartete die Antwort nicht ab und setzte zu einem weiteren Schlag an.

Ôle richtete sich zu seiner vollen Größe auf. "Nein, nein das war noch lange nicht alles!" mit einem lauten Brüllen stürzte er sich auf Svea, teilte mehrere Schläge aus, musste einige weitere einstecken und deutlich mehr blockieren. Ein besonders guter Schwinger traf ihn auf die Nase und das Blut spritzte nur so daraus hervor, ergoss sich in seinen Bart und sickerte in diesen ein. Blutig und mit dicker Lippe holte er daher mit aller Kraft die er noch aufzubringen in der Lage war aus, um Svea mit einem saftigen Kinnhaken wieder zu beweisen wer von ihnen der verdammt noch mal stärkere war!

Der Kinnhaken traf sie an der Schläfe, weil sie sich genau in dem Moment verschätzt hatte und beförderte sie auf den Boden zurück, gerade noch so brachte sie ihre Hände unter sich, damit nicht noch ihre Wange mit dem Steinboden kollidierte und blanke, eiskalte Wut fuhr durch sie wie ein Messer. Sie war auf den Beinen, ehe sie sich selbst dazu entschieden hatte und warf sich gegen Ôle, weil er so verdammt groß war, dass sie es gar nicht anders versuchen konnte, doch dann hatte sie ihn unter sich, machte sich so schwer, wie sie eben konnte und holte zu einem Faustschlag gegen den empfindlichen Bereich unterhalb seiner Rippenbögen aus.

Ôle konnte nicht mehr ausweichen und er hörte laut und deutlich das Knacken seiner Rippe, welches seine Welt für einen Augenblick in bunte Sterne explodieren ließ. Er keuchte, hielt sich den Brustkorb und hob eine Hand. "Líða!" rief er und entwandt sich auf Sveas griff, kroch einige Meter nach hinten, ehe er mit dem Rücken gegen die mit Schnitzereien verzierte Wand stieß und vor Schmerz die Augen schloss. "Du hast gut gekämpft Svea Torlindottir - das Walblut kocht stark in dir. Möge Swafnir deinen Axtarm stärken!"

"Und deinen Schildarm", keuchte Svea, als sie ihn aus dem Griff entließ, neben ihn kroch und sich einfach an seine Seite fallen ließ, den Kopf auf seiner Schulter. Ihr Kopf pochte und die Welt drehte sich, doch sie fühlte sich ... am Leben. Wach. Mutig. All die Dinge, die sie zwar stetig war, aber dann doch nicht genug, um sie an erste Stelle in ihrer Gefühlswelt treten zu lassen. Eine merkwürdige, schwere Zufriedenheit breitete die Decke über ihr aus und ließ sie die Luft ein letztes Mal ausstoßen, ehe ihr Atem sich zu verlangsamen begann.
"Danke, Ôle. Du bist ein würdiger Gegner - und ein noch besserer Freund. Nicht jeder würde sich schlagen lassen ... damit es anderen besser geht." Sollte sie überhaupt andere schlagen, damit es ihr besser ging? Irgendeine Stimme in ihrem Kopf, die sich sehr nach Calenleya anhörte, sagte ihr, wie falsch das wäre.

"Ich habe mich nicht schlagen lassen" erwiderte Ôle. "Du hast es einfach so getan!" er grinste breit, wollte schon Svea gegen den Arm schlagen, aber der Schmerz in seiner Brust hinderte ihn daran. "Ach verflucht..." er biss die Zähne zusammen und spuckte noch etwas Blut aus, schloss dann die Augen. "Swafnir ist noch bei dir. Das spüre ich. Das ist gut...." er lächelte mit blutverschmiertem Mund, während der Lebenssaft in seinem Bart zu trocknen begann. "Ich hatte befürchtet du hättest den Weg verloren, nachdem du damals die Swafnirskinder zurück nach Thorwal gesandt und deine heilige Pflicht als Hüterin der Walwütigen aufgegeben hast."

"Ich meine, was ich gesagt habe ... ich bereue nicht, was ich getan habe. Diese Aufgabe nieder zu legen war schwierig und keine leichte Entscheidung und für ein paar Momente habe ich mich gefragt, was Swafnir von mir wollen wird, ob das, was er verlangt, nicht zu groß ist ... die Walwütigen sind nicht nur meine Aufgabe, sondern meine Familie", murmelte Svea und zog ein Bein zu sich heran, um ihren Arm darauf abzulegen. Die Kühle, die über ihre wunden Fingerknöchel strich, tat unheimlich gut. Ein schiefes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. "Und ich vermisse sie so sehr - und euch. Dich. Aber Thorwal ist nicht ... kann nicht mein Zuhause sein, wenn mein Mann dort draußen ist. Die Klippen und das Meer können mir keine Ruhe geben, wenn ich weiß, die Welt kann in Schutt und Asche liegen, sollten wir versagen und den Magier nicht aufhalten. Du weißt, wie wichtig das Schicksal für unsere Landsleute ist und ich glaube, nein, ich weiß, meines liegt nicht auf einem Drachenboot, sondern bei den Gezeichneten."

"Die Gezeichneten?" hakte Ôle nach und blinzelte. "Sind sie alle Tättowiert, so wie du?"

Das würde jetzt eine längere Erklärung werden. "Sie sind - wir sind ... Auserwählte im Kampf gegen Borbarad und es hat nichts mit den Tättowierungen zu tun, auch, wenn ich froh darüber wäre, glaube mir. Es ist nahe liegend. Wir wissen selbst nur sehr wenig bisher und das, was wir wissen, ist mehr bruchstückhaft und auch nicht immer gut. Es liegt an uns selbst - an dem, was wir glauben und wofür wir stehen - aus dem, was wir bekommen, etwas Gutes zu machen. Etwas, was den Menschen hilft. Die Zeichen bringen Personen zusammen, von denen man es nicht unbedingt glauben würde."

"Aha?" hakte Ôle nach und zog die Brauen zusammen. "Gehören zu diesen Personen auch Zauberstabschwinger aus dem Mittelreich? Denn wie genauso einer redest du gerade! Verschnörkelter als jeder Runenwurf und vieldeutiger als das Lesen in Krähenleber!" er schüttelte den Kopf und tastete zur Seite, wo sich tatsächlich die noch immer heile Flasche Schnaps befand, setzte diese an und nahm einige tiefe Schlucke. "Sprich doch bei Swafnir!"

"Oh, du wirst mich für verrückt erklären, fürchte ich." Sie zuckte mit den Schultern. "Gut, aber du willst es so. Ediona - eine Magierin hat einen Rubin als Auge. Es trägt Erinnerungen an Borbarad vor vielen hundert Jahren und will Rache. Dafür arbeitet es auf seine Weise mit uns zusammen - Informationen, gegen Angreifer und Borbaradianer vorgehen ... Calenleya, die Firnelfe, ist mit mir hier. Sie ist die zweite im Bunde und trägt eine Tättowierung von einem Hermelin, das sich auf ihrer Haut bewegen kann. Manchmal nimmt es Gestalt an. Sie fühlt all die Emotionen unserer Gruppe und hat wohl die undankbarste Zeichnung, denn seelische Verletzungen und Misstrauen unter uns führen bei ihr zu blauen Flecken und Schmerzen. Dafür kann ihr Zeichen Frieden bringen, wo sie auch wandelt - wäre sie hier gewesen, ich hätte dir nicht einmal das Wasser überkippen können oder auch nur wollen. Rena ist die vierte Gezeichnete. Sie stammt aus Gareth. Sie verlor in einem Kampf einen Arm und hat nun einen Ersatz aus Metall und Ziegenleder. Eine fein gearbeitete Hand, die ihr gehorcht, als wäre es die eigene und in Zeichensprache mit ihr spricht und uns warnen kann. Außerdem klaut sie und hat dann Schluckauf, wenn sie sich an Gold und Edelsteinen überfressen hat - frag bitte nicht, wie viel sie schon zusätzlich eingenommen hat, sie kann die ganze Gruppe versorgen mit all dem Geld. Die Hand kann auch fremde Texte übersetzen, aber sie ist tückisch und leicht zu beleidigen. Hin und wieder entscheidet sie also selbst, was sie tut."
Svea wurde für einen Moment still, hob den Kopf und sah Ôle forschend an. Sie vertraute ihm blind, hatte mehr als einen Sturm oder eine Flut mit ihm durchgestanden und er war nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Er konnte sie aus der Halla werfen, was wohl das Schlimmste war, was in diesem Falle passieren konnte, doch im Grunde ihres Herzens hoffte sie, er würde verstehen. Er spürte Swafnir in ihr - bei ihr - dann musste der Weg der richtige sein und ihr Zeichen eine Aufgabe. Trotzdem schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie schluckte hart.
"Und ... es gibt mich."

Ôle blieb eine ganze Weile still. Das was sie da sagte wirkte seltsam, so unglaublich fern und wie eine der Geschichten aus den Sagas - wie jene Schreckgestalten aus der Halfdan-Saga, sich verschiedenster Spuk-Kreaturen in der frühen Besiedelungszeit der Thorwaler annahm. Auch erzählt die Saga von der verzweifelten Situation der von den alten Göttern verlassenen Thorwaler. Sveas Beschreibung wirkte dem nicht unähnlich. Ein Rubin der sprach, eine Elfe mit Friedenszeichen und eine Hand die diebisch und gerissen war. Der Geweihten wischte sich über den Mund und richtete dann seine blauen Augen auf Svea. "Dich?" hakte er nach und sein Ton wurde dunkler. Ernster.

"Mich", wiederholte Svea und biss sich auf die Lippe, ehe sie die Augen schloss. "Swafnir scheint eine sehr ... große Herausforderung für mich geplant zu haben. Ôle, bevor ich es dir sage, schwöre mir, dass du nicht gleich aufspringst, es in ganz Thorwal verkündest und mich hinauswerfen lässt!"

Ôle sah die andere an und nickte dann langsam. Er vertraute Svea durch und durch, wusste das sie ihn nicht ohne Grund darum bat. "Ich schwöre dir, dass ich die folgenden Worte für mich behalten werde! Dies schwöre ich bei meiner Ehre! Wir entstammen der selben Gemeinschaft Svea - wir standen stets Mutig zusammen. Ich bin ein aufrechter Diener meines Gottes und so schwöre ich deine Worte zu bewahren."

"Und auch ich diene weiterhin unserem Gott. Mir wurde das dritte Zeichen zuteil. Es verleiht mir ... mehr Mut und Kampfesfähigkeiten, aber es ... kommt mit einem Preis. Du sagst, Swafnir wäre noch in mir - in meinem Wesen und bei mir an meiner Seite. Ich hoffe, du glaubst das immer noch." Svea richtete sich auf und brachte damit etwas Abstand zwischen Ôle und sich, dann zögerte sie, die Finger an dem Fell, das am Kragen ihres Umhangs ihren Hals bedeckte und zog ihn schließlich zur Seite. Dort am Hals, nahe der Beuge zur Schulter, fanden sich ein paar Schuppen, grünlich schimmernd.

Ôle schnappte nach Luft, als er die Schuppen sah, die grünlich glitzerten und zog sich schnaufend am der Wand nach oben, blickte die andere vollkommen fassunglos an. "Hrannga-Brut!" zischte er. "Ein schlimmes Omen - oh bei Swafnir! Verflucht! Verflucht und drei Mal verflucht sollst du sein!" er wischte sich noch einmal durch den langen Bart. "Du hast mich zu einem Schwur verdammt! Ist das bereits ihre stetig wachsende Brut in deinem Herzen? Nun bin ich gefangen zwischen der Ehre meines Schwurs und der Bekämpfung der Feinde meines Gottes!" er spuckte vor ihr aus. "Wieso? Wie konntest du mich nur so täuschen?" er wich vor Svea zurück, stieß gegen den Altar und warf einen Blick hinauf zu dem Wal aus Holz. "Swafnir steh mir bei! Das Hranngargezücht hat sich den Körper einer deiner Diener angenommen! Treibe es ihr aus! Vernichte es, so wie du in deinem immerwährenden Kampf auf Hranngar vernichten wirst!"

Svea wagte nicht einmal, ihn anzusprechen und sie kam ihm auch nicht näher. Sie blieb auf ihrem Platz am Boden und versuchte, die Worte nicht zu tief in ihr Herz dringen zu lassen - erfolglos. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, als sie sich fragte, was sie erwartet hatte? Noch vor wenigen Monaten hätte sie ebenso reagiert, hätte jeden aus der Halla, ach, sogar aus ganz Thorwal geworfen oder umgebracht, der ihr mit Schuppen unter die Augen gekommen wäre. Sie versuchte verzweifelt, sich auf dieses Verständnis zu besinnen, als ihr Kopf war wie leer gefegt.
Leise kamen Worte über ihre Lippen, aber sie waren nicht an Ôle gerichtet, sondern an den Wal, den auch er anbetete. An ihren Gott, der sie erwählt und auf diesen Pfad geführt hatte. Wenn er nicht dafür sorgen konnte, dass Ôle verstand, dann konnte es niemand. Kein Wort und keine Tat würden ihn davon überzeugen, dass sich an ihrem Geist nichts geändert hatte.
"Mein Gott - Swafnir - du warst immer bei mir, jeden Schritt meines Weges. Ich habe mich Herausforderungen gestellt und Mut bewiesen und auch, wenn ich nicht immer ohne Fehler in deinem Dienen war, so bitte ich dich, steh mir bei und lass deine Diener sehen, dass du diesen Weg für mich willst. Ich bitte dich, nur du hast Macht in dieser Halla. Nur du sollst der Gott sein, dem ich folgen werde."

Ôle betrachtete Svea mit Angst in seinen Augen. "Wie kannst du es nur wagen?" flüsterte er leise und ging in die Knie. "Du warst wie eine Schwester für mich! Wieso hast du der Todesmutter Einlass gewährt? Was hat sie dir dafür gegeben? Was ist so wertvoll, als das du deinen Körper als Tempel für die Schlangenbrut hergeben könntest?" fragte der Swafnirgeweihte und schüttelte verständnislos den Kopf. "Wieso?" er zitterte vor Wut und doch konnte er nichts gegen sie unternehmen. Der Schwur im Namen seines Gottes fesselte ihn.