Kapitel 17

"Gut erkannt", erwiderte Faye und bugsierte Linea zurück in Richtung des Schlosses. "Komm, wir haben noch zu tun."

"Putzt du eigentlich den Verletzten bei dem anderen Heiler auch die Zähne, wenn die das nicht selbst können?"

"Wenn es notwendig ist, auch das", gab Faye Auskunft und hoffte, Linea würde nicht auf noch andere körperliche Bedürfnisse eingehen, die man nur zu gerne vergaß, wenn man die Verletzten nur ein paar Stunden am Tag sah, die aber nicht zu ignorieren waren, wenn man den halben oder ganzen Tag mit ihnen verbrachte.

"Mh", machte Linea und gab sich einstweilen damit zufrieden, während sie neben Faye durch die Gassen schlenderte und dann schließlich abrupt an einem der Marktstände mit Süßigkeiten stehen blieb. Eine Weile lang starrte sie die Zitronentörtchen sehnsüchtig an und seufzte dann leise, weil sie wusste, dass sie die nicht mehr so einfach bekommen würde, auch wenn sie im Moment so furchtbar Lust darauf hatte. Faye würde bestimmt kein Geld dafür haben und sie hatte ja auch keins.
"Ich würd sowas nicht machen wollen", entschied sie dann, um sich selbst von dem Gedanken abzulenken. "Man kommt doch gar nicht an alles dran."

"Was?", fragte Faye irritiert nach, als sie den sehnsuchtsvollen Blick zu den Törtchen bemerkte. Sie hätte der Kleinen gerne eines gekauft, aber es war wie vor so vielen Jahren auch: Sie brauchten jeden Taler für den Neuaufbau der Bruderschaft und Luxus war gerade etwas, was sich keiner von ihnen leisten konnte.

"Na, wenn du den anderen die Zähne putzen musst, dann musst du die bestimmt auch waschen und du kommst doch bestimmt gar nicht an alles dran", wiederholte Linea ihre Überlegungen und blinzelte dann, als würde ihr plötzlich etwas einfallen, was ihr Gesicht binnen einiger weniger Sekunden puterrot anlaufen ließ.
"Musst du ... den Jungs dann auch die Hose ausziehen, um die da zu waschen ...?"

Faye lachte - sie lachte wirklich laut los und hatte keine Ahnung, wann sie das das letzte Mal getan hatte, bevor sie Linea durch die Haare fuhr. "Glaube mir, man gewöhnt sich an vieles - aber um deine Neugier zu befriedigen: Ja. Auch das. Und es ist den Jungs peinlicher als mir, das kannst du mir glauben."

"Die anderen Mädchen haben gesagt, das sähe aus wie eine runzelige Gurke."

"Ich hoffe für dich, die anderen Mädchen sind wesentlich älter als du. Aber eine Gurke ... kommt ganz gut hin. Bei den meisten."

"... die sind ... unterschiedlich?!"

"So unterschiedlich wie Haare auf dem Kopf. Na gut, die Grundform bleibt gleich - meistens. Es gibt ja auch ... krumme Gurken. Picklige. Dicke. Dünne."

"Mh", machte sie erneut, wenig angetan von dem Gedanken an die Gurkenformen. "Ich glaub, ich mag keine Gurken mehr essen."

"Das ist in Ordnung. Im Winter gibt's eh keine", führte Faye schulterzuckend aus und ließ sich nicht davon beeindrucken. Sie hatte wirklich zu viel Zeit mit albernen Assassinen und deren Fragen verbracht. Männer waren ein guter Lehrmeister für Kinder.

"Doch - eingelegte, kleine Gurken. So wie bei deinen Freunden. Du musst nur die alte Berta in der Küche fragen, dann kriegst du auch welche."

Kopfschüttelnd entschied Faye, darauf nun wirklich nicht mehr zu antworten und schob Linea mit sich durch die Gassen, damit sie wieder zurück zum Schloss gelangten.

Linea entschied sich, die anderen Mädchen noch einmal zu fragen, ob es wirklich so war, dass es krumme und pickelige Gurken gab - vielleicht auch den anderen Heiler, mit dem Faye die ganze Zeit bei den Verletzten herumsaß, während sie selbst nur wenig zu tun hatte außer auf einem der Betten zu hocken und sich die Zeit mit Gedanken zu vertreiben. Gurken würden nicht dazu gehören.
"Was machen wir, wenn wir im Schloss sind?"

"Dann werden wir Lyra suchen."

"Warum?"

"Weil ... ich mit ihr reden muss."

"Und worüber?"

"Über deine Lehre."

"Wieso? Was soll ich denn lehren?"

"Deine Ausbildung, Linea", erwiderte Faye, ohne es zu beschönigen. "Wir hatten das Thema heute Morgen schon und der Krug ist nicht von alleine auf meinen Kopf zugeflogen, das weißt du genauso gut wie ich."

"Der hat schon so komisch gewackelt als du an dem Brett vorbei gegangen bist. Ich kann da nichts dafür, dass du danach nass warst!"

"Ganz bestimmt, Kleine", sagte Faye so trocken wie sie nur konnte. Der Krug und das Wasser waren der einzige, verdammte Grund, warum sie gezwungen war, eines von den Kleidern zu tragen, die Lyra für sie herausgesucht hatte. Fröstelnd zog sie den Umhang fester um ihre Schultern und sah auf das Schloss, das sich dunkel gegen den fahlen Nachmittagshimmel hin abzeichnete.