Thorwal, Tavia 1017

In Thorwal hatte man die Fenster verbarrikadiert. Ein wütender Rondrikan fegte durch die Stadt, riss Netze von ihren Stangen, hob sogar einige der Langschiffe an. Phileasson befand sich zusammen mit einigen anderen Männern draußen an den Dünen und Mauern der Stadt um die Schäden möglichst gering zu halten, während Naya in ihrem Haus saß, um sich einen großen Zirkel gezogen und sich alle Mühe gab den Sturm irgendwie zu beruhigen. Doch jede Anstrengung schien vergebens, jeder Spruch verging. Mit einem Mal schien die Luft in dem Raum zu vibrieren, als ein Mann vor Naya, wenn auch außerhalb des Kreises erschien. Er war kahlköpfig, sein Gesicht aschfahl - mit beinahe grauer Haut und ein Buckel entstellte den Körper des Neuankömmlings. "Ich grüße dich, ehrenwerte Schwester!"

Langsam erhob sich Naya aus ihrer Position und ließ ihren Blick über den Fremden wandern, der dort plötzlich in ihrem eigenen Haus stand und der ihr ganz und gar nicht bekannt war, ebenso wenig wie sie ihn eingeladen hatte. Sie hielt nichts davon jetzt jemanden vor sich stehen zu haben, der sie freundlicher begrüßte, als sie es für angemessen hielt und über dessen Erscheinungsbild sie jetzt die Nase rümpfte. Der Sturm draußen machte es ihr nicht möglich sich eine andere Alternative zu suchen, um Verstärkung zu erhalten und zwangsläufig straffte sie jetzt ihre eigene Haltung. "Ich grüße Euch, Fremder", erhob sie ihre eigene Stimme und ließ erneut ihren Blick über ihn wandern, betrachtete den Buckel und das aschfahle Gesicht, das ihr entgegen starrte.
"Ich schätze, Ihr seid nicht hierher gekommen, um freundlich mit mir zu plaudern", fügte sie nach und rang sich ein halbherziges Lächeln ab. "Es gibt also einen wichtigen Grund, aus dem Ihr hierher gekommen seid und ich bin äußerst ungeduldig."

"Das kann ich nachvollziehen, auch ich bin nicht für meine Geduld bekannt. Denn Zeit, meine Liebe, ist Geld!" er machte einen Schritt auf sie zu, gestützt von seinem vergoldeten Stab umrundete er den Kreis. "Mein Meister hat mich hierher geschickt um eine Aufgabe für ihn zu erfüllen. Ich dachte mir, ich sollte die Gelegenheit nutzen um direkt mit euch zu sprechen. Ihr scheint mir vielversprechend und eine weitsichtige Frau!" er hatte sie schließlich einmal umrundete und blieb vor ihr stehen. "Mein Meister bietet euch seine Hand in Freundschaft an!"

"Euer Meister?", hakte Naya nach und hob die Augenbrauen, weil sie für die Schmeicheleien, die der andere ihr hier entgegen brachte, nur wenig übrig hatte. "Nehmt es mir nicht übel, aber ich ziehe die Freundschaft vieler Menschen vor, allerdings ist die Grundvoraussetzung diesbezüglich, dass ich ihren Namen kenne und welche Gegenleistung er für seine Freundschaft von meiner Seite aus fordern wird. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sehr viele Freundschaftsdienste einen Preis fordern."

"Natürlich hat alles seinen Preis meine teuerste, immerhin ist jeder käuflich!" er rieb zwei Finger aneinander und aus dem nichts fielen goldene Dukaten auf den Holzboden. "Aber ich glaube nicht, dass ihr euch für einfaches Gold interessiert, oh Königin der Meere!" er lächelte ein seltsames Lächeln, dass um seinen Mund zu viele Falten warf. "Mein Herr und Meister nennt sich Borbarad und er bietet euch an Teil seiner neuen Welt zu werden!"

Borbarads Diener kam also hierher, um ausgerechnet ihr einen Handel anzubieten und hielt jeden davon ab, hierher zu kommen, nur damit sie in Ruhe dieses Gespräch würden führen können. Die Dukaten betrachtete sie lediglich mit einem erneuten Hochziehen der Augenbrauen, ehe ein schmallippiges Lächeln sich über ihr Gesicht schob. "Ihr seid gut daran nur das auszusprechen, was zwingend nötig ist", sagte sie und seufzte dann schließlich, weil es eine ebenso ermüdende Eigenschaft war. "Ihr nanntet weder Euren Namen, mein Lieber, noch den Preis, den Euer Meister dafür verlangt."

"Ihr dürft mich Xeraan nennen," erwiderte der Bucklige. "Und den Preis, den mein Meister verlangt ist ein angemessener, möchte ich meinen!" er öffnete die beiden Hände, als wollte er sie in eine Umarmung nehmen. "Er will eure Mithilfe dabei diese Welt umzugestalten. Er will, dass ihr eure Macht gewinnbringend nutzt und uns dabei helft auch diesen Teil der Welt einzunehmen. Die Thorwaler sind gewaltige Krieger und mein Herr hält nichts von zu viel und unnötigem Blutvergießen. Ihr habt Macht in Thorwal - nutzt sie, um die Thorwaler auf den großen Meister einzuschwören."

"Die Thorwaler sind ein freies Volk, das lediglich Swafnir und ihrem Hetmann verschrieben ist. Es ist bereits eine Geweihte hier gewesen, der sie versprochen haben, sich bereit zu halten für den Kampf gegen Euren Meister, Xeraan", antwortete Naya mit einem schweren Seufzen, als wolle sie sich gleichzeitig auch mit diesen Worten eine Entschuldigung für eine Ablehnung finden.
"Es dürfte sich also als schwierig gestalten, hier noch Fuß zu fassen."

"Bedauerlich," erwiderte Xeraan und schüttelte den Kopf, was ob seines fehlendes Halses aussah, als habe jemand die Fäden einer Marionette durchtrennt. "Sehr bedauerlich." Er betrachtete Naya noch eine ganze Zeit lang. "Ich kann euch nicht überzeugen?" hakte er noch einmal höflich nach und seine wässrigen Augen hingen an Nayas Blick.

Das Lächeln, das Naya zeigte, wurde ein wenig weicher als sie den Mann vor sich noch einmal musterte und dann schließlich den Kopf zur Seite legte. "Das habe ich nicht gesagt", antwortete sie. "Allerdings wird es sich nicht als besonders einfach gestalten."

"Dann ist es wohl nun an mir mit euch um den Preis zu feilschen. Was benötigt ihr?" hakte Xeraan nach, während draußen der Rondrikan an den Läden rüttelte. "Und beeilt euch, Zeit ist Geld und ich habe noch mehr zu tun."

"Ich werde mir einen Preis überlegen", antwortete sie und nickte ihm zu. "Vorerst gebe ich mich mit einer Möglichkeit zufrieden mit Euch in Kontakt treten zu können."

Xeraan hob die Stelle an seinem Kopf, wo Augenbrauen hätten sitzen sollen. "Zeichnet mit eurem Blut die Zhayad-Rune für "B" auf den Boden", erklärte er leise.

"Gut", stimmte sie zu und nickte dann, beinahe zufrieden mit dem Ergebnis, das sie hier errungen hatte. "Wir kennen unserer beider Absichten", hob sie die Stimme und blickte kurz hinab auf ihre eigenen Finger, die dünnen Linien daran, die sie würde durchschneiden müssen, um seinen Meister zu rufen. "Ich will eine Möglichkeit Kinder zu bekommen. Eigene Kinder und von niemand anderem als meinem Mann. Findet er dafür eine Lösung, hat er meine Unterstützung."

"Die Heilige Kirche Unseres Herrn Borbarad dankt euch," erwiderte Xerann und verbeugte sich. "Der große Meister ist in der Lage und Fähig Leben zu schaffen. Ich werde ihm von eurem Wunsch berichten."

"Dann geht und sorgt dafür, dass dieser Sturm wieder endet. Ich denke, wir haben klar gestellt, was wir von dem jeweils anderen wollen", sagte sie und machte eine wegwerfende Geste, einen Schritt nach vorn setzend und damit den Kreis durchbrechend, den sie ohnehin nicht mehr für den Sturm würde nutzen können, nachdem Xeraan sie inmitten des Rituals gestört hatte. Mit einem Fingerschnippsen begann sie dem Besen wieder zu befehlen den Raum durchzukehren und damit auch zeitgleich die Dukaten zusammen zu kehren, die der andere dort verloren hatte.
"Wollt Ihr die wieder mitnehmen?", fragte sie und hob eines der Goldstücke empor.

Etwas zu schnell griff Xeraan danach, und das Gold der Dukaten spiegelte sich in einem widerwärtig gierigen Glanz in seinen Augen wider. "Ich denke ihr habt wenig Verwendung dafür..." flüsterte er leise und verbeugte sich noch einmal tief, wenngleich er dabei auch alle Goldstücke wieder aufsammelte. "Ich danke euch für die Zeit, die ihr mir geschenkt und verschafft habt..." erklärte er leise. "Womöglich habe ich auch bereits eine Idee was euer Kind angeht."

"Ich freue mich auf unsere künftige Zusammenarbeit, sollte Euer Herr eine Lösung für mein Anliegen finden und ich den Beweis des Erfolgs erhalten", antwortete Naya und neigte sacht den Kopf, beinahe belustigt darüber, wie eifrig Xeraan sich soeben mit den Dukaten aufgehalten hatte und welche Gier da soeben in seinen Augen aufgeleuchtet war. Goldgier war es also, womit er zu greifen sein würde - zumindest das war äußerst gut zu wissen.
"Ich wünsche Euch eine geruhsame Nacht, Xeraan, und entsendet Eurem Meister meine besten Wünsche."

"Das werde ich," erwiderte Xeraan und verließ, rückwärts gehend die kleine Hütte. Kaum, dass er einen Schritt nach draußen gesetzt hatte, ebbte der gewaltige Sturm ab. Einer der größten der letzten Jahre.
Die Krieger kehrten Heim, die tapferen Männer und Frauen, die Thorwal vor einer Flut verteidigt hatten. Niemals hätte jemand von Xeraans Auftauchen erfahren. Niemals hätte jemand auch nur geahnt, dass etwas unheiliges diese Naturgewalt beschworen hatte. Wäre nicht allsbald eine schreckliche Nachricht durch ganz Thorwal gegangen. Beinahe alle Kinder der Stadt, die noch keine drei Lenzen zählten waren verschwunden. Und Tjark, Sveas Ehemann war auch nirgends aufzufinden.