... Kapitel 1

"Immer noch gut", gab er zurück, gar nicht erst auf das Thema Gesundheit kommen wollend, weil es immer heikel mit ihr war. "Hast du irgendetwas aus dem Krankenhaus gehört?"

"Bisher noch nicht - aber in der Regel ist das ein gutes Zeichen. Sie kontaktieren die Angehörigen nur, wenn sich der Zustand dramatisch verschlechtert und ich habe bislang auch noch keine Benachrichtigung darüber erhalten, dass ein Notfall eingegangen ist", wank sie ab und zuckte mit den Schultern, darauf hoffend, dass es ihn zumindest ein wenig beruhigte. Jake würde es gut gehen und Ben brauchte dringend etwas zu essen und die nötige Ruhe, die ihm mitunter auch ein paar Stunden Schlaf gebracht hatten und die trotz alledem nicht ausreichten.
"Worauf hast du Lust? Toast? Cornflakes? Croissants?"

"Toast reicht mir", gab er zurück und stellte zwei Teller neben ihr ab, sich dem Kühlschrank zuwendend. DAs alles war so absurd normal. Wie früher und dann doch wieder überhaupt nicht. "Hast du Schutzzauber auf diesem Haus?"

Langsam schüttelte sie den Kopf. "Nein", lautete die ehrliche Antwort. "Ich hab in den ganzen Jahren keine gebraucht, weil keiner hier gesucht hat und ich hatte am Anfang Angst, dass man die Schutzzauber eher finden würde. Ich hab es nie wieder geändert."

"Dann sollten wir das ändern oder ich muss so schnell es geht von hier weg." Er würde sie in GEfahr bringen ... hatte sie schon mehr gefährdet, indem er die Nacht hier verbracht hatte. Wie hatte er nur so gedankenlos sein können?

Dieses Mal hielt sie ihn am Arm fest und musterte das besorgte Gesicht des anderen. Sie kannte den Ausdruck in seinem Gesicht mehr als gut, wusste, dass da noch etwas in seinen Gedanken war, dass er bislang nicht ausgesprochen hatte und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie es gar nicht genau wissen, in was er da hinein geschlittert war. Also war es eine andere Frage, die sie jetzt stellte - eine leise, kaum mehr als ein Flüstern. "Wie schlimm ist es, Ben?"

Ein bitteres Lachen kam über seine Lippen, als er den Kopf schüttelte, ihren Blick aber nicht losließ. "In England? Es ist völlig aus der Bahn geraten, es gibt kaum mehr muggelstämmige. Statt einer Einladung nach Hogwarts bekommen sie inzwischen über normalem Postwege eine Information, das magische Talent ihres Kindes geheim zu halten oder es im Ausland zur Schule zu geben und es nicht nach Hause kommen zu lassen."

Dann stimmten die Nachrichten, die sie im Radio immer wieder hörte und die von Auswanderern sprachen, die vor dem Brexit England verließen - offiziell aus anderen Gründen, aber die Muggel spürten noch immer die Tendenz innerhalb der Zaubererwelt. So war es früher gewesen und so würde es auch heute noch sein. Sie flohen nicht vor einer Veränderung, sondern vor der Gefahr, die dort im Untergrund schwelte und der Gedanke daran, dass es kaum noch Muggelstämmige gab ließ ihr schlecht werden.
"Es tut mir leid", sagte sie leise und schlug die Augen nieder, weil sie sich mit einem Mal so fühlte, als hätte sie all die anderen einfach im Stich gelassen. "Wie sehr bist du schon in ihren Fokus geraten?", verlangte sie dann leise zu wissen während ihr Griff um seinen Arm sanfter wurde. Wenn er nach Schutzzaubern fragte, dann bedeutete es, dass er längst kein unbeschriebenes Blatt mehr sein würde und dann würde es bedeuten, dass auch sie sich vorbereiten musste.

Lange ließ er sich Zeit mit einer Antwort, wog ab, was er ihr sagen sollte und konnte, bis er schließlich leise seufzte. Es war nur fair, wenn er ihr genug Informationen gab, damit sie sicher war. Oder jedenfalls sicherer als sie es nach dem Treffen mit ihm sein konnte.
"Es ist ein Katz und Maus Spiel. Wir finden sie, sie finden uns und es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer den anderen zur Strecke bringt. Wir sind über Festnahmen hinaus, Kat."

"Dann die Schutzzauber", gab sie schließlich klein bei und schluckte, die Augen einen kurzen Moment schließend, nur um ihn dann wieder zu fokussieren. England stand also förmlich in Flammen und sie machten Jagd auf die Auroren. Auf Männer, wie Jake und Ben. "Ich will nicht, dass du so schnell wieder verschwindest, wie du aufgetaucht bist."

"Meine Anweisungen kommen vom Ministerium direkt, ich bin keinem anderen Auror mehr unterstellt ... wenn sie mich abberufen, dann muss ich gehen."

War das eine Zustimmung? Sagte er ihr hier gerade, dass er bei ihr bleiben würde, so lange bis der nächste Ministeriumsauftrag ihn wegholen würde? Kat hielt für einen kurzen Moment die Luft an, dann nickte sie langsam und fühlte sich unangenehm an die Zeit zurück erinnert, als das Warten zu ihrem Tag gehörte. Sie hatte damals häufig Essen gemacht, hatte Verabredungen immer wieder absagen müssen, weil er verschollen geblieben war und hatte es stets mit einem Lächeln wegargumentieren müssen. Jetzt, wo sie wusste, wie die Lage in England aussah und Jahre zwischen ihnen beiden standen, fühlte es sich nicht mehr so schlimm an wie damals.
"Das ist in Ordnung", stimmte sie schließlich leise zu und nickte noch einmal.

"Du würdest ... in ständiger Gefahr sein. Es war schwer, dich gehen zu lassen, aber ich wusste immerhin, du würdest sicher sein, wohin du auch gehst. Das hat es erträglich gemacht." Was bei Merlins Barte tat er hier gerade? Er konnte nicht bleiben! Er musste diese Zauberer finden und nach England zurückkehren, er hatte keine Zeit für eine Beziehung, für die allgegenwärtige Angst, das Versteckspiel. Wie sollte er das überstehen? "Ich kann dir keine Garantie geben, wie lange ich hier bin", hörte er sich sagen und verfluchte sich, um einen Schritt zurück zu weichen. "Wir dürfen das nicht entscheiden, während wir hier voller alter Erinnerungen stehen. Du weißt, wie furchtbar es für dich war. Du würdest es nicht mehr lange in deinem Muggelkrankenhaus geheim halten können, es wäre eine Abschottung."

"Ihr beide seid doch schon hier und ich halte euch doch schon versteckt", erwiderte sie und rang sich zu einem schiefen Lächeln durch, weil ihr das mit einem Mal um so vieles mehr bewusst wurde als am vergangenen Abend. Sie wünschte sich, sie würde etwas anderes sagen können - etwas, das ihm mehr Hoffnung machen würde, als der Umstand, dass sie ohnehin schon in Gefahr schwebte, weil sie zwei Auroren geholfen hatte und sich als Muggelgeborene hier versteckt hielt - nicht weit fort von England.
"Wie lange wird es dauern bis es nicht mehr nur in England bleiben wird, Ben?", stellte sie die leise Frage. "Ich bin ohnehin nie vollkommen sicher und das ist in Ordnung. Ich lüge seit Jahren die Menschen hier an, damit niemand erfährt, wer oder was ich bin ... aber lieber tue ich das, wenn ..." Wenn was? Wenn sie wusste, dass er hier war? Alles, was sie hier gerade sagte und tat fühlte sich fürchterlich falsch und doch wieder richtig an. Sie hatten sich vor Jahren voneinander entfernt und hier standen sie nun und sie spürte ihr eigenes Herz in ihrer Brust hämmern, die Röte in ihrem eigenen Gesicht und das Zittern in ihren Fingern. "... ich wenigstens weiß, wofür ich lüge. Oder für wen", vollendete sie ihre Worte schließlich erst nach einer ganzen Weile.
"Bleib. Bitte."

"Ich will dich nicht wieder in dieses Leben ziehen. Noch kann ich gehen und niemand würde dich finden", gab er zurück, ihr Gesicht aufmerksam musternd, während sein Herz sich zusammenkrampfte. Angst überflutete sein Denken, Angst, sie zu enttäuschen, in Gefahr zu bringen und alleine zurück zu lassen, diesmal ohne Mitspracherecht ihrerseits. "Es wird nicht leichter als damals, Kat", beschwor er sie. "Die Einsätze ... sind länger. Spontaner. Gefährlicher."

"Ich weiß", stimmte sie leise zu und nickte langsam. "Ich habe Jake gesehen und ich sehe dich."
Wie lange würde es dauern bis die ersten Menschen aus Frankreich fliehen mussten? Sie wollte nicht wissen, wie viel Zeit ihr hier noch bleiben würde, während sie ein gewöhnliches Leben lebte und behauptete, sie wäre ein Muggel und hätte keine Ahnung von Magie oder einem Leben außerhalb ihres Berufs als Krankenschwester. "Was ist mit dir?", fragte sie schließlich und rang sich noch einmal ein schiefes Lächeln ab, schob sich eine der roten Strähnen hinters Ohr, die sich aus dem Zopf gelöst hatten. "Was willst du?"

"Ist Weltfrieden zu viel verlangt?", entgegnete er, um die Spannung aus der Situation zu nehmen und lächelte schief. "Oder die Zeit zurück zu drehen?" Ben schüttelte den Kopf, dann trat er hinüber zum Fenster, sah hinunter auf die Straße. Hier war alles so friedlich und er konnte sich zu gut an die Zeit erinnern, in der es in England ähnlich ausgesehen hatte. Inzwischen war jeder Besuch im Ministerium ein Spießrutenlauf, die Arbeit, die sie verrichteten, nie genug, die Erfolge zu gering. "Selbst wenn ich es wollte, es wäre nicht fair."

"Wem gegenüber?", stellte sie die Frage und ließ sich dann schließlich an den Frühstückstisch sinken, weil sie sich begannen im Kreis zu drehen und doch zu keinem Ergebnis kamen. England - Frankreich und die Gefahr, die ihnen hier drohte, war so verzwickt, dass sie sich dabei ertappte, die Welt dort draußen mit einem Mal mit anderen Augen zu sehen. Bis Gestern war es normal gewesen - es hatte keine Magier gegeben in ihrem Leben, es hatte keine Gefahr gegeben und nun saß sie hier und beobachtete Bens Gesten.
"Ist in Ordnung", sagte sie schließlich. "Lass uns essen."

Und da waren sie wieder ... an einem Punkt, an dem nichts vorwärts und rückwärts ging. Kat wollte nichts mehr hören und er konnte nichts weiter sagen, eigentlich hätte es damit auch gut sein müssen, aber beide waren sie frustriert mit diesem Arrangement.
"Es wäre unfair dir gegenüber", fügte er schließlich leise hinzu und statt zum Tisch zu gehen, wandte er sich zu ihr um. Sie war viel näher als er erwartet hatte und ein paar Sekunden blinzelte er nur, bis er schließlich die Hand nach ihrer ausstreckte und ihre Finger sanft drückte. "Mein Wunsch, dich bei mir zu haben, könnte deinen Tod bedeuten. Und nein, es ist nicht dramaturgisch übertrieben, es ist ein simpler Fakt. Wer bin ich also, mir das zu wünschen in dem Wissen, das ich habe? Ich kann nicht kündigen, selbst, wenn wir uns ein Leben aufbauen und ... - wenn sie sagen, ich muss in ein Krisengebiet, werde ich nicht fragen 'Warum?', sondern 'Wohin?'. All das geht inzwischen viel tiefer als ein simpler Arbeitsvertrag."

Kat schluckte schwer während ihr bewusst wurde, dass das, was er sagte, einen wahreren Kern beinhaltete. Sie waren hinter ihm her - hinter ihm und Jake und das würde unweigerlich auch bedeuten, dass sie in Gefahr war. Dass sie sie suchen würden, wenn ihnen erst klar wurde, dass sie etwas miteinander zu tun hatten und dass sie ihm etwas bedeutete. Trotzdem setzte sie jetzt den Schritt nach vorn, suchte die Nähe, die seine Anwesenheit hier bedeutete und blickte dann hinauf in sein Gesicht. "So wie ich das sehe", begann sie leise und nickte dann für sich selbst, als wolle sie sich eine Angestellte Frage an sich selbst beantworten, bevor sie sich zu ihm hinauf streckte und ihn sacht küsste.
"... ist das entweder ein Abschied oder nicht. Es tut mir leid, wenn ich die Dinge komplizierter mache."

Shit. Das war das erste und einzige, was Ben durch den Kopf schoss, als ihre Lippen seine berührten, weil sein Denken völlig aussetzte und er nur am Rande wahr nahm, wie alle Alarmglocken in seinem Kopf zu schrillen begannen und dann war da dieser Hauself in seinem Hirn, der sie einfach abstellte und pfeiffend davonging.
Bevor sie auch nur einen Schritt zurück machen konnte packte er sie an den Handgelenken und zog sie zurück, hinein in eine Umarmung, die ihm selbst die Luft aus den Lungen presste, während er sein Gesicht an ihrem Schopf verbarg. War das sein hämmerndes Herz oder ihres? Dieser kurze Glücksmoment würde sich rächen, er wusste es und er würde sich morgen dafür verfluchen, das hier getan zu haben, aber verdammt noch mal ...

"Ich hab dich vermisst", hauchte sie an seine Lippen, als sie einen kurzen Moment zum Atmen hatte. Das hier war ein Fehler und sie würde es bereuen, wenn er wieder ging, aber dem zu widerstehen und sich umzudrehen - so zu tun, als würden sie nichts weiter sein als gute Freunde aus Schulzeiten das hatte sie ebenso wenig tun können. Sie sollte das hier nicht tun, weil der Abschied damit nur noch mehr weh tun würde, aber dieser eine verfluchte Fehler, zu dem sie sich gerade hinreißen ließ als sie sich wie eine Ertrinkende an ihm festklammerte bis kaum mehr ein Blatt Papier zwischen sie beide passte, fühlte sich nicht wie ein Fehler an. Die Konsequenzen waren ihr gleichgültig, die Gefahr, die dort draußen lauerte, war ihr gleichgültig, wenn das nur bedeutete, dass sie ihn bei sich hatte.

~*~

Der Morgen, den der Oktober so spät erst bescherte und der grau und nebelverhangen war, ließ erst gegen neun das erste, fahle Licht in das Schlafzimmer und enthüllte absolutes Chaos. Kissen, die auf dem Boden lagen, die Bettdecken, schief und quer über zwei Personen, Kleidungsstücke überall, obwohl sich doch nur diese zwei ausgezogen hatten. Da baumelte eine Socke über der Nachttischlampe und die Jeans war mehr ein Knoten auf dem Boden, der Morgenmantel fungierte als Teppichvorleger und die Flasche mit Wasser neben dem Bett kullerte müde hin und her, weil sie von einer unachtsamen Hand umgestoßen worden war. Es enthüllte aber auch die Stellen an Haut, die zuvor noch sorgsam versteckt gewesen waren.

Nur langsam blinzelte Kat gegen das fahle Licht an und drehte sich zur Seite, einen Teil der Bettdecke einfach mit sich ziehend, um sich darin einzuwickeln, weil die kalte Luft aus dem geöffneten Fenster sie frösteln ließ. Ein weiches Lächeln huschte über ihr Gesicht als sie das Gesicht neben sich betrachtete und dann schließlich die Hand ausstreckte, um sacht über seine Wange zu streicheln. "Guten Morgen", wünschte sie ihm noch einmal leise und rutschte dann kurzerhand näher zu ihm hinüber, ihre Stirn an seinen Arm lehnend, weil sie ihm nicht unnötig mehr Schmerzen bescheren sollte als die, die er ohnehin schon gehabt hatte.