Schatten im Zwielicht - Die Kammer der Gezeichneten

Für einen kurzen Moment hob sie überrascht die Augenbrauen, weil sie nicht wusste, ob es eine seltsame Art von Scherz war, die er sich hier gerade mit ihr erlaubte oder nicht. "Die Echte?", echote sie skeptisch und stieß ein kurzes amüsiertes Schnauben aus, ehe sie schief grinste. "Bislang hast du nichts anderes kennen gelernt."

"Das wage ich zu bezweifeln," erwiderte Savertin. "Denn immerhin bist du eine Geweihte des Feqz" - er sprach den Namen seltsam aus, mit einem urtümlichen Dialekt. "Wusstest du, dass im Diamantenen Sultanat nicht Praios der höchste der Götter war? Man betete an seiner statt Feqz an - der nächtlicher Herrscher und Kämpfer, höchster der Götter, Echsentöter, Herr des Mondes und der Zauberei, der Patron von Astronomie und Rechenkunst, Mysterien - und ausgleichender Gerechtigkeit. Ich glaube, dass du einen älteren Gott anbetest als jenen des Mittelreiches. Denn du wandelst auf diesem Pfad. Etwas, dass keiner deiner Gefährten von sich behaupten könnte."

"Ich maße mir nicht an über das Wesen meines Herren zu urteilen, so lange er mir seine Aufgabe an mich gegeben hat. Es ist gleichgültig, wie es die Menschen bezeichnen, denn kein Wort würde dafür gerecht werden. Ich bin hier, weil es meine Aufgabe ist, Borbarad aufzuhalten und jeden seiner Diener zu jagen und zur Strecke zu bringen."

"Glaubst du, dass du Auserwählt bist?" fragte er mit ehrlichem Interesse. "Größte Heldin des Zeitalters?"

"Ich bin keine Heldin. Helden neigen dazu früh zu sterben und ich hänge an meinem Leben", folgte die lapidare Antwort. "Ich tue nicht mehr oder weniger als der Rest dieser Welt und auserwählt hat mich nur mein Zeichen. Was meinen Herrn anbelangt - so wage ich es nicht für ihn zu sprechen. Das steht mir nicht zu."

"Natürlich nicht..." erwiderte Savertin kopfschüttelnd. "Ich vergaß - wer einem Gott dient gibt die Hoffnung auf sein Leben jemals selbstbestimmt führen zu können!" er schüttelte den Kopf. "Aber ich kann das respektieren."

"Es geht nicht darum, sein Leben in den Dienst eines Gottes zu stellen, Salpikon. Wir leben durchaus selbstbestimmt und frei, solange wir dabei nicht vom Weg abkommen, aber wir fürchten die Erzdämonen nicht mehr oder weniger als jeder Normalsterbliche es tut", erwiderte sie und schüttelte nun ihrerseits den Kopf.
"Worum es geht ist hier und jetzt der Kampf gegen Borbarad. Wir kämpfen für nicht mehr oder weniger als für die Freiheit aller Völker Aventuriens. Mein eigenes Leben steht hinter alledem weit zurück und du kannst mir nicht sagen, dass es das ist, was du so verwerflich findest, denn du kämpfst genau denselben Kampf."

"Ich finde daran nichts verwerflich," erwiderte Savertin. "Und ja, wir führen den selben Kampf. Haben den selben Gegner. Das selbe Ziel. Aber unsere Beweggründe sind andere. Ich tue dies nicht für die Freiheit aller Völker. Denn sie sind nicht frei. Ich tue es für meine eigene Freiheit und für die Möglichkeit, dass einige Individuen dieser Völker in vielen, vielen Jahren den Weg zu sich selbst entdecken und mutig genug sind ihren eigenen Geist zu nutzen um wahre Größe zu erreichen!"

Rena lachte leise während sie den Schwarzmagier betrachtete. "Eine schöne Formulierung für ein und dasselbe Ziel, Salpikon. Du kämpfst genauso wie ich für die Freiheit Aventuriens - du kämpfst dafür, dass sie frei bleiben dürfen, um ihren Geist zu nutzen - ich dafür, dass sie nicht unter dem Joch eines Dämonenmeisters stehen. Sieh es ein, du und ich - wir sind gar nicht so verschieden, wie du immer behaupten willst", antwortete sie und setzte einen Schritt näher zu ihm hin.
"Dein Egoismus mag dich vielleicht früher einmal begleitet haben. Heute geht es um anderes - geht es um Zukunft, auch um deine eigene und um die derjenigen, die dir plötzlich wichtig geworden sind. Du fürchtet es genauso sehr wie wir zu versagen und du fürchtest um ihr Leben genauso sehr wie wir um das unserer Lieben. Du bist genauso menschlich, Salpikon, und dafür werde ich dich nicht verurteilen, aber willkommen in der Welt der Normalsterblichen."