Schatten im Zwielicht - Zwischen Auftrag eins und zwei - II

Die Tür war unverschlossen, aber sie knarrte und knackte protestierend, weil niemand sie seit mehreren Jahren geöffnet hatte. In den Ecken des Türrahmens hingen Spinnweben und streiften beim Eintreten Sveas Gesicht, der ein dunkler Geruch entgegen schlug. Nicht Moder, nicht der Tod, nur die Luft eines Hauses, das niemand betreten und in dem niemand gelebt hatte. Staub flirrte durch die Luft und wurde in den schmalen Sonnenstreifen sichtbar, die durch die Ritzen in den Fensterläden fielen, tanzte auf und ab, hochgeschreckt als der Ruhe des Vergessens.
"Komm ruhig rein", forderte sie Calenleya auf und trat zur Seite, um die Elfe mit in das Haus zu lassen, in dem sie so viele Jahre mit Tjark verbracht hatte. Sie hatten vieles hiervon selbst gebaut, Tjark deutlich mehr als sie, die sich bei Holzarbeiten, wie Ôle nicht müde wurde zu betonen, immer recht ungeschickt angestellt hatte. Aber sie war gut gewesen im Anweisungen annehmen und immerhin konnte sie so ihren Teil dazu beitragen, ein Heim zu schaffen, das vielen Stürmen getrotzt hatte.
Der Boden bestand aus Bohlen, nicht aus dem üblichen, festgetretenen Lehm und Svea konnte immerhin keine dunklen Flecken von einem undichten Dach herrührend erkennen. Sie hatte das Haus und die Ländereien zuvor vor den Hetleuten ihren Eltern übergeben, wissend, sie würden es an Tjark oder sie zurückgeben, sobald sie beide oder einzeln wieder länger hier in Thorwal verweilten, doch sie wollte ihnen in ihrem Altern nicht mehr aufhalsen, ein Dach neu decken zu müssen. Sie konnten es nutzen, es an jemanden aus ihrer Familie vergeben oder eben einfach dafür sorgen, dass es in Familienhand blieb, aber Svea hatte sich noch einen Tag erbeten, bevor sie das täten und so war sie losgezogen, hatte Calenleya am ... auf dem Meer eingesammelt, wo sie auf einer Wasserplatte in den Wellen herumgewirbelt war, als wäre es fester Boden und war mit ihr hierhergekommen.
Es fühlte sich sehr endgültig an, hier zu stehen und das leise Gefühl, zum allerletzten Mal in diesen Räumen zu stehen, beschlich sie unaufhaltsam.

Calenleya war Svea mit langsamen Schritten folgt, hatte immer wieder ein wenig Abstand gehalten, um der Freundin den Raum zu geben, den sie brauchte, um mit all den Erinnerungen abzuschließen, die hier an diesem Ort auf sie warteten. Jetzt trat sie langsam in die Hütte ein, die Svea bewohnte und die so seltsam unfertig wirkte, dass es ihr beinahe schauderte - dort gab es Löcher in der Decke, durch die das Wasser tropfte, wenn es regnete und das bereits einen Fleck am Boden hinterlassen hatte. Das alles war nicht perfekt und es passte irgendwie zu den Menschen, die hier lebten und die so ganz anders waren als ihr eigenes Volk.
Leise glitten ihre Finger hinüber zu der Harfe aus Kristall und Eis, die sie jetzt auf ihren Schoß zog, kaum dass die hölzerne Tür zugefallen war und sie sich einen Platz nahe einer alten Feuerstelle gesucht hatte. Sanfte Töne drangen nur wenig später durch das Haus als die Saiten zu klingen begannen und das Holz ihrem Wunsch gehorchte. Kleine Äste zogen sich über die undichten Stellen, wuchsen zusammen und Blätter sprossen dort, wo die Äste nicht vollkommen das Dach abdichteten. Svea sollte nicht in einem Haus wohnen müssen, in dem es von der Decke tropfte. Niemand sollte das.

Während unbemerkt von Svea über ihrem Kopf ein Blätterdach wuchs, trat sie zu den Truhen und Regalen hin, begann Dinge hineinzustellen und andere herauszunehmen, bis eine Grundordnung in allem, was verblieb und ein Haufen an Gegenständen auf dem Tisch entstanden war. Sie sagte kein Wort, während sie wühlte, abwog, Sachen in die Hände nahm und zurückstellte und schließlich durch scheinbar jedes Teil ihres Besitzes gegangen war.
Sanft zog die Melodie sich durch das Haus, schien jeden Fleck, jede Ecke zu füllen, als Svea schließlich zurücktrat und die Hände im Nacken verschränkte, um die Luft, die sie nicht bewusst angehalten hatte, auszustoßen. "Wir können Dinge durch die Sphäre transportieren, oder?"

Langsam nickte Calenleya und musterte noch einmal Sveas Gesicht ehe sie sacht lächelte. "Natürlich", beantwortete sie dann leise. "Wir transportieren ja auch uns durch die Sphäre."

"Gut ...", murmelte die andere und nickte, mehr für sich selbst, ehe sie Pergament und Kohlestift zu sich heranzog und in der thorwalschen Runenschrift zu schreiben begann. Es waren viele Zeilen und Blatt um Blatt, das sie füllte, ehe sie alles zusammenrollte, ein Lederband darum wickelte und es schließlich auf ein leeres Regal legte, von dem sie zuvor schon ein paar Sachen abgeräumt und auf den Tisch gestellt hatte. Langsam ließ sie den kurzen Kohlestift sinken, der nicht viel mehr Worte geschafft hätte und sah hoch zu Calenleya. "Danke für deine Geduld." Als sie sich zum Tisch hinüber bewegte, waren ihre Bewegungen abgehackt, als würde eine uralte Frau sie vollführen und keine junge Kriegerin. Ein großer Beutel füllte sich zusehends mit allem, was sie als wertvoll erachtete, mitzunehmen und schließlich schob sie ein paar kleinere Gegenstände in ihre Taschen, ehe sie den Beutel schulterte.

"Brauchst du noch einen Stift?", fragte Calenleya mit einem Stirnrunzeln, die Sveas Bewegungen und ihr Schreiben aufmerksam verfolgt hatte. "Ich habe noch einen und Papier, falls du nicht fertig geworden bist?"

"Ich bin fertig. Gerade so, aber ... es ist alles gesagt. Tjark sollte wissen, wo er unsere Habseligkeiten wiederbekommt, wenn er zurückkommt."

Noch einmal nickte sie ganz langsam und erhob sich dann wieder von ihrem Platz, den Beutel betrachtend, den Svea bei sich trug und stellte dieses Mal nicht die Frage, ob sie sie in Mirham aufbewahren wollte. Svea mochte weder Salpikon, noch seine Akademie - sie würde sicher nicht davon ausgehen, dass ihr Hab und Gut dort sicher sein würde, selbst wenn Calenleya nicht verstand, weshalb die anderen stetig aufs Neue Furcht davor hatten, dass jemand ihnen etwas weg nahm. Vielleicht würde sie sie nach Menzheim bringen oder in das Haus in Almada, das ihnen geschenkt worden war.

"Worüber denkst du nach?", fragte die Jüngere, um die Stille zu überbrücken, in der Calenleya scheinbar so sehr nachzudenken schien.

"Ich finde es seltsam, dass ihr Menschen immer Angst habt, dass euch etwas weggenommen wird. Das verstehe ich nicht."

"Wie du siehst, war diese Tür nicht verschlossen", erwiderte Svea schulterzuckend. "Jeder hätte kommen und sich etwas von dort holen können. Sie haben es nicht getan, weil wir unser gegenseitiges Eigentum respektieren. Aber ich habe die Möglichkeit geboten, dieses Haus weiter zu nutzen, bis einer von uns oder wir beide wiederkehren und ich möchte nicht, dass jemand mit unseren Sachen stetig daran erinnert wird, wer dort einst wohnte."

"Mh", machte sie leise, nickte dann aber langsam und verstehend. Erinnerungen waren doch das, was von ihnen übrig blieb - die Lieder, die sie über das Leben eines anderen sangen und mit denen auch Ohm Folkersson die alten Geschichten seiner Freunde weitererzählte. Calenleya verstand nicht, weshalb die Erinnerungen an einen Menschen so schlecht sein sollten, hatte aber inzwischen von den Menschen genug gelernt, um diese Frage nicht offensichtlich zu stellen, vor allem weil es Svea weh zu tun schien, sich hier aufzuhalten.
"Gibst du diese Sachen nach Menzheim? Zu Makels Burg?"

"Die Dinge, die gleich benötigt werden, wenn jemand zurück kommt, bleiben hier in Thorwal bei Hjalmar. Alles andere werde ich nach Havena schicken. Wenn etwas irgendwo sicher ist, ist es vermutlich mit Renas Familie. Aber vorher muss ich es in Mirham in eine Truhe packen. Ich glaube nicht, dass eine Adelsfamilie gerne Post in Form eines Beutels aus Flachs erhält."

"Ich kenne sie nicht - das weiß ich nicht, aber ein Beutel aus Flachs ist viel praktischer als eine Truhe."

"Wenigstens da sind wir uns einige", lächelte Svea sanft. "Ich fürchte nur, damit stehen wir ziemlich alleine da." Sie schlug den Weg durch die Häuser ein, ließ ihr eigenes hinter sich und wagte nicht, zurück zu blicken. Sie hatte sich verabschiedet und würde nur noch Hjalmar alles vor die Tür stellen, was er aufbewahren sollte, ein Brief beiliegend. Es würde wohl schneller von der Schwelle geholt werden als in Asleifs Fall, dessen Rückkehr alleine Swafnir nennen mochte.

Calenleya nickte langsam und schob die Harfe wieder in die Tasche, die sie bei sich trug ehe sie Svea wieder folgte - quer durch eine Ansammlung von nicht perfekten Häusern, die sie gern verändert hätte, um den Rosenohren hier zu helfen, weil sie alle freundlich zu ihr gewesen waren und hier niemand aus Furcht vor ihr umgefallen war, wie es ihr in Weiden passiert war.
"Lass dir Zeit", teilte sie der Jüngeren mit einem Lächeln mit. "Ich warte an der Sphäre auf dich. Komm nach, wenn du soweit bist."

Svea lächelte und hielt an, um die andere in eine Umarmung zu ziehen. "Ich bin stolz darauf, an deiner Seite sein zu dürfen, bis deine Aufgabe erfüllt ist - unsere Aufgabe", flüsterte sie nur leise, dann zog sie sich zurück.

Sanft erwiderte Calenleya die Umarmung der anderen und lächelte ihr weich zu, weil es endlich so schien, als hätte auch Svea jetzt begriffen, dass sie nicht mehr länger vor dieser Aufgabe und dem, was die für sie bereit hielt weglaufen konnten. Jeder von ihnen hatte es versucht und sie nahm es keinem von ihnen übel.
"Sei stolz darauf, dass du diese Aufgabe bekommen hast. Du wurdest auserwählt", sagte sie ihr bevor sich die Thorwalerin wieder von ihr löste und die Elfe lächelte noch einmal ehe sie den Weg zurück zu der Sphäre einschlug. Es würde einen Moment dauern bis sie dort ankommen würde, aber diese Zeit ließ sie Svea gern, um Abschied von ihrer Heimat zu nehmen.

~*~

Die Rückkehr war gefühlt viel schneller, aber möglicherweise gewöhnte man sich auch einfach nur an das Reisen in einer Sphäre. Svea hatte nicht viel gesprochen, weil Calenleya sich konzentrieren musste und als sie zurückgekehrt waren, fühlten sich nur ihre Beine etwas wackelig an, ihr Geist war einigermaßen stabil. Sie würde eben tun, was zu tun war und dann weitersehen. Zurück führte kein Weg, das hatte sie heute begriffen. Mit einem letzten Dank ließ sie Calenleya ziehen, die sich unverzüglich auf den Weg zu Salpikon machte und sie selbst graste derweile die Erdgeschosse und den Garten ab, um Rena zu finden.

"Na? Wieder zurück?", drang mit einem Mal die Frage hinter Svea auf, wo Rena - inzwischen wieder vollkommen stofflich - mit einem schiefen Grinsen im Gesicht und verschränkten Armen stand und ihren Blick jetzt über die Freundin wandern ließ, um sicher zu gehen, dass die ohne Veilchen oder ähnliche Blessuren aus ihrer Heimat wieder zurückgekommen war. Keine Verletzungen - nichts anderes außer der Schwermut, die sie selbst nach jedem einzelnen Besuch in Havena wieder mit sich her brachte. Damit konnte sie arbeiten, denn das bedeutete immerhin, dass nicht noch mehr Probleme zu dem ganzen Haufen an Mist hinzugekommen war, mit dem sie sich ohnehin schon herumschlagen mussten.

Überrascht von den Worten hinter ihr wandte Svea sich um und nur testweise streckte sie den Finger aus und piekste gegen Renas Arm, ihr Lächeln ebenso schief. "Wieder zurück", bestätigte sie. "Und du bist wieder stofflich, wie ich sehe. Was doch ein Tag für einen Unterschied macht." Es war ein seltsames Gefühl, innerhalb von so wenigen Momenten wieder in der warmen Akademie zu sein, umgeben von Menschen, die sie kaum bis gar nicht kannte und die einem Ablauf folgten, der sich ihr nur mäßig erschloss, weil sie vieles für Blödsinn hielt, was sie hier taten. Nicht alles, wohlgemerkt, aber manches schien einfach so zwecklos zu sein. "Was macht der Parkour?"

"Ausbaufähig. Ich mache Adaque wahnsinnig mit meinen Anforderungen an den künftigen Übungsplatz und was mir hier und dort noch nicht gefällt, aber bislang lässt sie mich machen und fügt sich. Was ziemlich erfrischend ist angesichts der Reaktionen der anderen Schwarzmagier auf uns", teilte Rena ihr mit und zuckte leichtfertig mit den Schultern, die Arme aus der Verschränkung lösend, um sich eine widerspenstige hellbraune Strähne aus dem Gesicht zu wischen. Immerhin war sie das Schwarz wieder losgeworden, das sie sich bei der letzten Mission auf die Haare geklatscht hatte und von dem sie befürchtet hatte, sie würde es genauso schwer wieder loswerden, wie das hellblond, das sie im Horasreich getragen hatte und das sie schaudernd realistisch an ihre Mutter erinnert hatte.
"Ich hab mich irgendwann vollständig aufgelöst und dann mit einem Mal wieder zusammengesetzt. Seltsames Gefühl, das ich keinem empfehlen kann."

"Dann hoffe ich, beim nächsten Mal erwischt mich lieber wieder etwas anderes als das, was du hattest", erwiderte Svea und ging neben der anderen her, hinüber zu der Teststrecke, von der sie noch gesprochen hatten. "Lass uns die Magier weiter wahnsinnig machen, sie sind so eingebildet, sie haben es gar nicht anders verdient."

"Blau und Gelb wären mir auch lieber gewesen, wenn du mich schon so fragst. Wie war es in Thorwal?"

"Sie waren kurz davor, unser Haus und unsere Ländereien an andere zu übergeben, ich musste dem einen Riegel vorschieben und habe es offiziell in meiner Familie überschrieben. Es wäre wirklich lächerlich, wenn mein Mann zurückkehrt und kein Dach mehr über dem Kopf hat."