Logbuch 1

Han-na seufzte schwer und verbiss sich jeden Kommentar. Sie hatte gehofft, dass wenigstens Claire - als Frau - auf ihrer Seite war, doch vielleicht war auch das schon zu viel verlangt. Mit einem leisen Seufzer schob sie sich an den anderen vorbei und setzte sich auf einen der freien Plätze der Bahn, schnallte sich an und zog einen Schmollmund. "Können wir wenigstens die blöden Helme jetzt abziehen? Hier wird es ja wohl Luft zum atmen geben, nicht wahr? Mich braucht ihr ja erst, wenn einer von euch sich wieder irgendwo geschnitten hat."

"Unsere Systeme sind so weit beeinträchtigt, dass wir nicht genau sagen können, ob sich Schadstoffe in der Luft befinden", erwiderte William kurz angebunden und setzte sich dann ebenfalls. Bedienungen irgendwelcher Technik hatte er seit Ewigkeiten an die beiden anderen abgegeben, die sich nur zu gerne darum zankten. 'Nimm Nicht-Militärs mit', hallte es in seinem Kopf nach 'Das wird der Sache besser nutzen als empathielose Befehlsbefolgung.' Was sie nicht zu ihm gesagt hatten, war, welche Leute sie ihm geben würden für die Mission und wie sehr er sich nach kurzen Anweisungen sehnte, anstatt alles auszudiskutieren, am besten noch mit dem Nachteil, ein Mann zu sein.
Ruckelnd setzte sich die Bahn in Bewegung, kreischend und scharrend fuhr sie über die verrostenden Seile und hangelte sich zu ihrem Zielpunkt hin.

Han-na hob nur ab und an den Kopf, während sie auf ihrem Omnitool herumtippte, ehe sie innehielt. "Hey!" rief sie auf, während sie weiterhin durch dichte Schwärze fuhren, die kaum von den Scheinwerfern der Bahn durchschnitten werden konnten. "Hier gibt es noch Netz! Wir haben Zugang zum Extranet!" sie grinste breit die umstehenden an, ehe sie bleich wurde. "CAPTAIN! SOFORT BREMSEN!" vor ihnen, direkt über den Schienen lagen einiger Querbalken und Streben, in welche sie unweigerlich hinein knallen würden, wenn William nicht sofort anhielt.

Die Millisekunde, die er zum Handeln brauchte, reichte hoffentlich aus, denn Denken war gerade nicht mehr drin. William schoss nach vorne, aus seinem Sitz und legte den Hebel um, den Claire zuvor in seine Richtung geschoben hatte. Der Nothebel - in den U-Bahnen zuhause waren es Notbremsen und er war verdammt noch mal noch nie in die Verlegenheit geraten, eine nutzen zu müssen. Umso mehr erwischte ihn nun der Ruck eiskalt, der durch die Bahn ging. Er erwischte Han-na am Kragen, als die an ihm vorbei kullerte, kreischend, aber Ian kollidierte hart mit der hinteren Wand des Zuges und auch Claire fand er erst nach einer Schrecksekunde, in der die Bahn endlich zischend zum Stillstand gekommen war unter einer der Bänke.
"Leute?"

Han-na rappelte sich auf, trat wankend zu der großen Windschutzscheibe und betrachtete die großen Balken und Streben, welche auf der Schiene der Bahn lagen. Sie warf einen Blick nach oben, von wo die Stützbalken gekommen sein mussten, warf dann einen Blick zu William, zur Karte, zur den Anderen. "Wir sind irgendwo auf Höhe des Minen-Decks, wo sie die Gesteinsproben erforscht haben müssen für dieses Kolonilaisierungsgedöns!" stellte sie mit Blick auf die Karte fest. "Die Streben da sehen verdammt schwer aus, ich glaube nicht, dass einer von uns die hochheben kann. Aber vielleicht finden wir auf dem Minen-Deck ja ein Gerät, mit dem wir es schaffen könnten?"

Mehr als unsanft war Claire nach vorn geschleudert worden und hatte aus reinem Instinkt und alter Übung noch die Hände über den Kopf gezogen, bevor sie geradewegs mit dem Kopf vorwärts durch die Windschutzscheibe geschossen wäre. Es änderte nichts daran, dass ihr jetzt trotzdem alles weh tat als sie wieder zurück auf die Füße kam und sich den Querbalken besah, der dort vor der Scheibe lag.
"Das Minendeck", begann sie mit hochgezogenen Augenbrauen und nickte dann schließlich. "In Ordnung." Eine andere Auswahl hatten sie gerade nicht - wenn sie hier nicht vergammeln wollten, dann mussten sie wohl weiter nach vorn, ob ihr das jetzt gefiel oder nicht.
"Alles bei dir okay, Cap?"

Der hatte sich gedankenverloren seine Schulter gerieben, die ziemlich gezerrt worden war, als er Han-na festgehalten hatte, doch bei seinem Namen sah er auf. "Alles okay", bestätigte er und trat zur Tür hinüber. "Dann sollten wir wohl loslegen. Seid ihr soweit?"

"Ich bin dafür, dass die Leute mit der Waffe vorgehen, nur falls uns ein wild gewordener Industrieroboter oder so angreifen sollte," frotzelte Han-na und deutete hinüber zu der Tür des Zuges, die immerhin nicht in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein schien. "Aber danke noch mal..." flüsterte sie leise in Williams Richtung, ehe sie den Knopf an der Seite drückte, woraufhin die Tür aufschwang und die Besatzung in eine leere Bahnstation entließ, die nur noch mit Notstrom beleuchtet wurde.

"Immer doch", gab er kaum lauter zurück, dann besah er sich die Station, an der sie nun standen. Still lag sie da, nicht ein einziges Geräusch ertönte von irgendwoher und es war gespenstisch in diesem gelben Neonlicht zu stehen, das kaum ausreichte, um alle Löcher im Boden wahrnehmen zu lassen. "Links", entschied er und entsicherte die Waffe, um vorauszugehen.

Wortlos hatte Claire den Kopf geschüttelt und sich für einen kurzen Moment lang gewünscht, sie würde einfach wieder in ihrem kleinen Cockpit sitzen und ein altes Schiff quer durch das All befördern, während sie Han-nas Gemecker im Hintergrund hörte und Ians ständigen Zigarettenqualm roch, aber stattdessen betraten sie jetzt einen leeren Gang, in dem das rote Licht flackerte. Ab und an waren noch Maschinen zu hören, verzerrten die eigenen Schritte und irgendwo hörte sie das Rauschen einer Sprinkleranlage, die versuchte ein Feuer zu löschen. Nicht ein einziger Mensch war hier zu sehen - niemand antwortete auf die Schritte, die sich hier näherten. Die Reklamen und Anweisungen an den Wänden schien schon Jahre hier zu hängen und nie gewechselt worden zu sein und passten so ganz und gar nicht auf das, was sie bislang von der Station in Erfahrung gebracht hatten.
"Oh", machte sie und streckte den Arm aus, als ihr Blick in einen der Seitengänge fiel. "... caaap ...?", fragte sie leise, wie um sicher zu gehen, dass er noch immer bei der Gruppe war und mit zitterndem Finger deutete sie auf eine sehr lange rote Spur auf dem Metallboden, die in einen der Räume hinein verlief.

"Gesehen", antwortete William leise und schob Claire nach hinten. "Bleib zurück", mahnte er sie, als er der Spur beinahe lautlos folgte. Die Tür zu dem Raum stand offen und im Inneren herrschte das gleiche, unruhige Flackern wie draußen auf dem Gang, doch noch konnte er nichts weiter ausmachen als einen riesigen, roten Fleck, in dem die Blutspur endete, als die er sie identifiziert hatte. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe in alle Ecken des Raumes, hinauf zur Decke, unter die Tische, doch ... nichts. "Vermutlich kam es von hier", mutmaßte er schließlich, immer noch skeptisch.

Han-na folgte auf leisen Sohlen, drückte sich dabei immer wieder gegen Ian und betrat, gemeinsam mit CLaire schließlich den großen Raum. Hier musste einst mal große Maschinen gelagert worden sein, einige lagen auch immer noch hier - an anderen Stellen zeugten große Aufhängungen davon, dass es einst mehr gegeben haben musste. "Alles in Ordnung?" fragte sie leise, als mit einem Mal mit einem lauten Scheppern die Abdeckung eines Lüftungsschachtes auf den Boden knallte und ein knarzendes Geräusch aus eben diesem Drang, welches sich langsam entfernte, die Rohre entlang schob und verschwand.

Als er sah, wie Claire schon die Waffe hob, legte William die Hand auf ihren Arm. "Zu wenig Munition", mahnte er sie ruhig, obgleich er selbst das innerlich gerade gar nicht war. Das hier war beunruhigend und beängstigend, sogar für ihn. Wie musste es da den anderen gehen? "Wir kämpfen nur, wenn es unumgänglich wird."

"Also jetzt", rief sie und stieß William zur Seite, weil - was immer da gerade auf dem Boden gelandet war - sich verdammt schnell bewegte. Arme platschten auf den Boden, der Kiefer eines menschenähnlichen Dings war weit aufgerissen und ein langer Schwanz mit einer scharfen Sensenklinge peitschte von einer Seite zur anderen. Hastig machte sie selbst einen Satz zur Seite, rollte sich zur Seite hin ab und kam mit Glück nicht in die Verlegenheit von diesem Ding getroffen zu werden, das sich hektisch wieder umwandte und den funkelnden Blick toter Augen auf die kleine Gruppe gerichtet hielt.
"Verdammte Scheiße - was zur Hölle ist DAS?!"

Han-nah unterdrückte nur mit Mühe einen Aufschrei und schlug sich beide Hände vor den Mund, was mit einem lauten Klong dokumentiert wurde, als die Handschuhe auf den Helm trafen. Sie machte einige Schritte Rückwärts, stolperte über Ians Füße, der nicht rechtzeitig zur Seite gehen konnte und knallte auf den Boden. Das Wesen stieß ein klackerndes Geräusch aus, ehe es sich unnatürlich schnell auf beiden Händen, den Oberkörper hinter sich her schleifend, auf die Veterinärin stürzte. Der Schwanz - einem SKorpion gleich - peitschte durch die Luft, ließ das Muskelspiel frei liegender, rötlich glänzender Fasern erkennen. Blut pulsierte durch am Rücken gut sichtbare Krampfadern, die in wurmähnlichen Fortsätzen endeten.

Unausweichlich war ja durchaus ein dehnbarer Begriff, hier aber nicht. William war schneller als das Vieh, sprang beinahe zwischen Han-na und ihren widerlichen neuen Freund, die Waffe erhoben, ehe er sich anders entschied und aus seinem Stiefel ein Messer fischte. Es war lang, beinahe so lang wie sein Unterarm und gut verborgen gewesen zwischen all den Schichten und würde ihm gerade mehr Freiheit geben, als die Waffe, mit der er Gefahr lief, die anderen zu treffen, sollte ein Querschläger von irgendwoher abprallen, womöglich sogar von dem Vieh selbst.
"Hey! Leg dich wenigstens mit jemandem an, der dir gewachsen ist!", knurrte er es fast an und setzte mit der KLinge nach vorne.

Klackend hielt das Wesen einen kurzen Moment inne, nur um sich dann wieder zurück in den Lüftungsschacht zu ziehen, aus dem es soeben gekrochen war. Über ihnen waren die Beine zu hören - das Poltern in dem Metall während es sich von einer Seite zur anderen bewegte, nur damit wenig später die nächste Schachtöffnung in den Raum hinein flog wie en Geschoss und Ian gerade noch so verfehlte. Sie waren intelligent, schoss es Claire vollkommen unnötigerweise durch den Kopf, die sich bei der dritten Öffnung des Lüftungsschachts platziert hatte und den großen Schraubenschlüssel in beiden Händen umfasst hielt - bereit damit zuzuschlagen, sobald das Wesen hier herauskommen sollte.

Dummerweise musste es wohl gesehen haben, wo sie stand, denn es kam - völlig unerwartet - wieder durch den ersten zurück. Ärgerlich entschied William, dass es an der Zeit war, die Spielchen zu beenden und warf sein Messer, sobald er den kahlen, widerlichen Kopf des Dinges sehen konnte.

Das Messer flog durch die Gegend, traf in vollem Flug und der gesamten Wucht den Schädel des Untiers. Die Klinge drang knackend tief in den Schädel ein, rot-graue Flüssigkeit sickerte an der Klinge des Messers vorbei und tropfte auf den Boden, wobei ein süßlicher Geruch frei wurde. Das Wesen sackte in sich zusammen, verdrehte dann aber den Kopf nach links und nach rechts, dass die Wirbel bereits weißlich unter dem Fleisch hervor schienen und richtete sich - das Messer immer noch im Schädel - auf. Der Schwanz zuckte nach vorne und hielt direkt auf Williams Schulter zu.

Sie sah das Elend kommen und war zum Glück bereits einige Schritt nach vorn gekommen als das Ding - was immer es jetzt auch sein mochte - aus seinem alten Schacht gekrochen war. Dieses Mal war es der große Schraubenschlüssel, der den Flug des Schwanzes ablenkte und die Klinge stattdessen ins Leere gehen ließ. Wenn sie ehrlich war, dann wollte sie sich gerade übergeben - in Anbetracht der Tatsache, dass sie allerdings noch immer einen Raumanzug mit Visier trug, konnte es nicht viel schlimmer werden während Claire mit hämmerndem Herzen den Schraubenschlüssel in ihren Händen hielt und darum betete, dass sich das Ding jetzt nicht zu ihr umdrehte. Piraten ... irgendwelche Söldner - das war ja alles kein Problem, aber Monster? Monster waren definitiv ein Problem.

Schmatzend und kreischend gleichzeitig - eine sehr sehr merkwürdige Mischung - fuhr das Vieh herum, fixierte Claire mit schief gelegtem Kopf, obwohl die Augen sich nicht mehr wirklich auf ein Ziel einigen konnten, schoss es los, wendete dann mitten in seinem Manöver und hechtete auf Han-na zu.
"Verdammt noch mal!" William fluchte und griff nun doch wieder nach der Waffe, die mit einem Gurt an seiner Seite befestigt war, bevor er es anvisierte. Der Kopf schien nicht genug, er musste den Nacken treffen.

Han-na schrie auf, als das Vieh sich mit einem fiependen Kreischen auf sie zusprang. Die Asiatin sah bereits ihr Ende gekommen, hörte den lauten Knall und spürte, wie das Monster auf ihr landete. Sie erwartete bereits den alles beendenden Stich, während sie mit geschlossenen Augen da lag. Als dieser ausblieb öffnete sie langsam wieder ihre Lider. Direkt auf ihr lag das Vieh. Der verkümmerte Unterleib, zu einem weißlichen Wurmfortsatz ausgebildet, entließ eine stinkende, grau-braune Flüssigkeit. Die toten Augen starrten sie an, das aufgeschwemmte Fleisch im Gesicht drückte sich auf ihrem Helm platt, bildete kleine Furchen, als wäre das Wesen zu lange im Wasser gewesen. Ihr wurde schlecht.

In jedem anderen Moment hätte Claire wahrscheinlich darüber nachgedacht, Han-na zu helfen - aber hier und in Anbetracht dieses Monsters, das jetzt da vor ihnen lag, wurden ihre Knie weich und sie sackte mitsamt des blutigen Schraubenschlüssels zu Boden. Was immer das gewesen sein mochte ... Claire wollte gar nicht darüber nachdenken während sie um ihren eigenen Atem kämpfte, der inzwischen Kondenswasser auf der Helminnenseite gebildet hatte, weil sie viel zu schnell atmete, als dass die Systeme noch regulieren konnte. "Fuck ...", murmelte sie leise und umklammerte ihren Schraubenschlüssel noch einmal fester, weil der neben der Pistole noch immer eine gute Möglichkeit war sich gegen Dinger wie diese zur Wehr zu setzen. "Fuck."

Mit einem Mal löste sich das Gewicht von Han-na und der leblose Körper landete mit einem dumpfen Geräusch neben ihr, ehe William mit seinem Ärmel den Schmodder von Han-nas Visier wischte. "Komm hoch", forderte er sie auf und streckte ihr die Hand entgegen, bevor er über die Schulter zu Claire hinüber sah. "Atme durch die Nase ein und den Mund aus. Ein - aus. Und nochmal." Als die Veterinärin vor ihm stand, musterte er sie prüfend. "Bist du okay?"

"Nein."
Die Antwort war einfach. Einfacher als es die Frage gewesen war und noch immer fühlten sich ihre Beine an, als bestünden sie aus Pudding. Sie zitterte wie Espenlaub, auch wenn sie niemals verstanden hatte woher diese Redewendung stammte. Ihre dunklen Augen fixierten William, dann Claire, letztlich Ian. "Was war das?" ihre Stimme war heiser, gebrochen. "Was um alles in der Welt war DAS?"