Logbuch 1

"Alles ... okay", versuchte sich Claire an einer Antwort und nickte, trotzdem noch auf dem Boden sitzen bleibend, weil sie sich nicht sicher war, ob ihre Beine sie jetzt überhaupt tragen würden. Wie ein Mantra verfolgte sie Williams Worte - atmete und versuchte ihr schmerzhaft in der Brust hämmerndes Herz wieder zu beruhigen. Durch die Nase ein und durch den Mund aus. "Geht", versuchte sie es nach einer Weile noch einmal. "schon."

"Wir müssen weiter, uns einen sicheren Platz suchen", gab William zu bedenken und zog Claire auf die Füße und zu Ian hin, der bleich, aber halbwegs gefasst noch immer dem ganzen beiwohnte. Wenigstens die Waffe hatte er gesichert und fortgesteckt, als er Claires Arm nahm, um sie weiter zu führen. William selbst klemmte sich beinahe Han-na unter den Arm, seine Waffe noch draußen. "Die sehen ziemlich mutiert aus und ich möchte jetzt keine weitere Zeit damit verschwenden, sie zu analysieren. Wer weiß, wie gut sie riechen können ... dann wimmelt es hier bald von ihnen."

"Du meinst es gibt noch mehr von denen?" Han-nas Stimme versagte beinahe, während sie einen Blick zu dem Vieh vor sich warf. Er hätte beinahe schwören können, dass es noch zuckte, dann wurde ihr aber bewusst, dass sie sich das einbilden musste. Sie warf einen Blick zu Claire, die auch nicht viel ruhiger schien als sie - was sie auf eine seltsame Art und Weise beruhigte. "Ja... fort... wir sollten weg von hier..." sie folgte William, während dieser sie in eine Art Pausenraum für die hiesigen Arbeiter führte. Am Rande stand ein Kaffeeautomat, der mit seiner kitschigen Werbung (Einer tanzenden Kaffeebohne, die auch ihre Laune beim zermahlen und zu Kaffee gebührt werden nicht verlor) die ganze Szene zu konterkarieren schien.

Claire folgte Ian schweigend, ließ sich von diesem durch den nächsten Raum bugsieren und war verdammt dankbar darüber, dass sie sich im Pausenraum befanden. Diese beschissene Kaffeebohne auf dem Automaten gab ihr ein ganz seltsames Gefühl davon, dass es doch noch irgendwie in Ordnung kam und dass sie einstweilen hier einen Punkt gefunden hatte, an dem sie sitzen konnten, ohne dass sie noch eines dieser Dinger angreifen würde. Langsam nur löste sie sich von Ians Arm und bewegte sich in schlafwandlerischer Sicherheit hinüber zu dem Kaffeeautomaten, einen der Pappbecher darunter stellend und einen der Knöpfe betätigend, nachdem sie sicher war, dass sich die Türen hinter ihnen geschlossen hatten und keines dieser Dinger wieder hier auftauchen konnte.
"Kaffee?"

"Ist das dein scheiß ernst?" fauchte Han-na. "Ich wäre beinahe von einem untoten Monstermutantendreckviehhurensohn schnabuliert worden! Mich hätte das DIng beinahe aufgespießt! Wir hätten alle tot sein können! Und jetzt kommst du hierher und trinkst billige Plörre, die irgend ein unterernährter Bauer auf der Erde für nen Hungerlohn oder gar in SKalverei geerntet hat, die durch die halbe Galaxis geschifft und mit so vielen Pestiziden und Haltbarmachern versetzt wurde, dass du genauso gut Weichspüler trinken könntest?" der jungen Frau standen Tränen in den Augen. "Ich will keinen verdammten Kaffee! Das is ja nich mal meine Marke!"

Das Seufzen konnte er gerade noch so unterdrücken, bevor er zu Han-na hinüber trat und ihr die Hände auf die Schultern legte, bevor er gegen ihr Visier tippte und zu Claire deutete, die in genau jenem Moment nicht festzustellen schien, dass sie ebenfalls in einem Helm steckte und den Kaffee gerade völlig unnütz an ihre Lippen geführt hatte, wo der Becher anstieß und die Plörre über ihren Anzug ergoss.

Für einen ganz kurzen Moment lang hielt Claire inne und wirbelte dann - wie von einer Tarantel gestochen zu Han-na herum, die andere fest ins Auge fassend. "Verdammte Scheiße! Kannst du ein einziges Mal nicht daran denken, wie beschissen unfair diese ganze Welt doch für diese arme kleine Koreanerin ist, die zufälligerweise auch noch eine Frau ist! Wir sind da drin beinahe alle drauf gegangen, du undankbares Stück!", fauchte sie und schob sich dann kurzerhand den Helm vom Kopf, feuerte ihn grob zur Seite.
"Und jetzt lass mich meinen verdickten Weichspüler trinken!"

"Bist du bescheuert? Ich bin auch beinahe gestorben!" schrie die Koreanerin zurück. "Aber war ja klar - dir als weiße Frau fallen solch strukturelle rassistische Motive gar nicht mehr auf! Hier geht es nicht um mich sondern um alle Menschen, die keine weißen cis-hetero Männer sind!" sie schüttelte den Kopf. "Ganz im ernst! Schau dir mal Ian an! Er ist der lebende Beweis eines patriarchal weiß-normativen Herrscheranspruchs! Ich meine, Kolonialisierung? Hallo? Ureinwohner? Wieso machen wir die verfluchte scheiße eigentlich wieder und wieder? Die Erde ist für den Arsch und jetzt machen wir mit den nächsten Planeten weiter?" sie verschränkte die Arme. "Und jetzt sitzen wir hier und uns greifen Untote an! Das ist doch ein schlechter Scherz!"

"Ohne diese cis-hetero Männer wärst du nicht mal am Leben, denn deine Mutter wurde nicht von einer Biene bestäubt, Hanna!"

"ARGH!" Han-na litt unter akutem Zuckermangel und kam an keinen Lollipop ran. "Han-na! Ich heiße Han-na!" schrie die andere. "Und ich habe doch gar nichts gegen Männer! Mir geht es darum, dass wir endlich mit dem Mansplaining, dem Manspreading und dergleichen aufhören müssen! Diese Strukturen sind so tief in unsere Gesellschaft eingebrannt, dass du sogar jetzt noch, kurz vor unserem unmittelbaren Tod daran festhalten würdest! Meine Fresse! Bist du nie aufgrund deines Geschlechts ungerecht behandelt worden? Hat man dir nie irgendwo hinterher gepfiffen? Wir sind doch mehr als Fleisch!" sie schnaubte. "Wieso diskutieren wir das hier eigentlich, während da draußen der Tod lauert??"

"Möchtest du also zuerst in den nächsten Raum?", fragte William gelangweilt, der sich unterdessen mit seinem eigenen Kaffee schmunzelnd gegen eine Wand gelehnt hatte. "Nur für den Fall der Gleichberechtigung. Ich fühle mich dabei nicht benachteiligt, wenn ich von einer Frau verteidigt werde."

Han-na klappte den Mund auf und zu. "Nein..." erwiderte sie und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie blickte schließlich von einem zum anderen, sah dann dass ihre Kollegen ihre Helme abgenommen hatten und tat es ihnen gleich. Die Luft schmeckte abgestanden und mit der Erleichterung der Süchtigen tastete Han-na nach ihren Lollipops, öffnete diesen und stopfte ihn sich in den Mund. Süße, klebrige Erlösung. "Ich würde das dem Gleichberechtigungsbeauftragten von Iris.Corp melden, wenns was bringen würde..." murrte sie. "Wusstet ihr, das 80 Prozent des Dienstleistungspersonals bei Iris.Corp Frauen sind, aber nur 5 Prozent im gehobenen Management? Der Vorstand ist sogar ne reine Würstchenparty..."

"Und wusstest du, dass 95 Prozent der Militärs Männer sind, die sich den Arsch dafür aufreißen, damit du weiterhin auf hohem Niveau jammern kannst und du nicht zwangsverpflichtet wirst?", erinnerte William sie und sah sie an. "Wollen wir nicht von dem Zuckerkonsum anfangen, der inzwischen mit 70 Prozent versteuert ist, weil er unsere Welt mit Diabetes und Übergewicht, koronaren Herzerkrankungen und alldergleichen geflutet hat, was unsere Lebenserwartung von 82 Jahren auf 60 Jahre herunterschraubt hat. Du weißt, dass Lollis Luxusartikel sind, die eigentlich schon auf der roten Liste stehen ab dem nächsten Jahr?"

"Der Rückgang der Lebenserwartung ist wohl das beste was uns passieren kann!" giftete Han-na zurück. "Immerhin ist die Erde maßlos überbevölkert und wir geben mehr für die Ressourcen aus als wir haben! Und die durchschnittliche Lebenserwartung? Ist ein schlechter Witz, wenn man sich die Verteilung ansieht: Einige der Superreichen halten sich seit 200 Jahren am Leben, dafür leiden die Ärmsten der Armen an Mangelernährung und sterben mit 40 Jahren! Dein schöner Durchschnittswert ist auf dem Rücken einiger Superreichen erbaut worden!" sie schüttelte den Kopf. "Solchen, denen auch Iris.Corp gehört! Und denen bestimmt auch dieses Raumschiff hier gehört!"

"Du arbeitest für Iris Corp."

"Die wollte auch sonst keiner einstellen", nuschelte Claire in ihren Kaffeebecher hinein.

Han-na knurrte. "Einige von uns haben nun mal nicht das Privileg sich aussuchen zu können für wen oder was sie arbeiten, weil wir das nehmen müssen was uns der freie Markt anbietet..."

"Und wir sind alle hier, Han-na. Zusammen. Schöner wäre es, wir kommen auch zusammen hier wieder raus, was etwas soziales Miteinander erforderlich macht, sonst hätten wir dich nicht von diesem Vieh befreien müssen."

Die Asiatin ließ die Schultern hängen. "Seh ich ja ein," erwiderte sie leise. "Und ich weiß, dass ihr es gut meint und das ich wohl auch etwas viel verlange. Ihr seid halt noch nicht so ganz woke - aber ihr werdet es auch nicht werden, wenn wir den Scheiß hier nicht überleben!" sie wog den Kopf hin und her. "Ihr könnt euch auf mich verlassen, auch wenn ihr die patriarchale Unterdrückung non-normativer Persönlichkeiten durch den Kapitalismus fördert."

"Halt doch einfach die Fresse und lutsch deinen Lolli, Hanna", knurrte Claire, die ihren Becher inzwischen zu dritten Mal nachfüllte und sich wünschte, sie hätte Ian um seinen Flachmann erleichtert, damit der Tag wenigstens noch ein bisschen besser werden konnte.

"Ach? Ich soll die Fresse halten und was lutschen?" brüskierte sich Han-na. "Ich versuche hier nett zu sein und du kommst mir mit so ner sexistischen Scheiße?? Wie oft hast du dir schon anhören müssen, dass du irgend nen Schwanz lutschen sollst? Wir sollten verdammt noch mal zusammenstehen, Schwester!"

"Grundgütiger ... dann meinetwegen geh raus und lass dich von 'nem Monster ficken, wenn dir danach ist. Ist auch okay - solange ich gerade fünf Minuten habe, um in Ruhe meinen Kaffee zu trinken. Ganz ehrlich? Es ist mir scheiß egal, ob mir ein Mann oder eine Frau sagt, wo es langgeht, solange derjenige eine Ahnung von dem hat, was er macht. Meinetwegen sollen mir Kerle hinterher pfeifen und meinetwegen hör ich mir auch an, dass ich Schwänze lutschen soll. Ist mir egal - vor allem jetzt, denn da war ein Monster draußen und dem ist es auch egal, ob du jetzt Mann oder Frau bist. Der hätte dich nämlich genauso gefressen wie unseren Captain und wenn du nicht für IrisCorp arbeiten willst, dann kündige doch einfach."

"Du befeuerst die Probleme nur noch!" seufzte Han-na und vergrub den Kopf zwischen den Händen, so dass nur noch der Lollystiel zwischen den Fingern hervorragte. "Bei allem was mir heilig ist! Du befeuerst die Männer darin, dass sie einfach so weiter machen können! Ach vergiss es - wenn du es dir so gemütlich in deiner Rolle als Sexobjekt gemacht hast, dann werd ich dir da nicht reinreden!"

Ian fühlte sich, als hätte er die letzten Stunden viel zu wenig von sich gegeben und all das Contra gegenüber der Asiatin den beiden anderen überlassen, doch scheinbar war dies nur gut so, denn dadurch dass er sich in Ruhe mit seiner Zigarette beschäftigt hatte, fiel ihm als erstes auf wie sich etwas langes, fädenziehendes Etwas vom Boden langsam auf den Schrank hin zubewegte, an den sich Han-Na gelehnt hatte. "Ähm", fing er an, wurde jedoch wüst von der Koreanerin unterbrochen, weshalb er nur in aller Ruhe nickte und an seiner Zigarette zog. Das etwas kam näher - Ian löste in aller Ruhe die Sicherung seiner Pistole und schob zur Sicherheit den Schlitten der Waffe zurück um zu überprüfen, dass der Schuss sich auch wirklich lösen würde. "Ähm, unterbezahltes, missverstandenes Sexobjekt?" Zu mehr kam er nicht, denn das lange etwas hatte nun seinen Kopf entblößt und war drauf und dran, nach der Asiatin zu schnappen. Für einen Moment hob es sich nur, musste scheinbar abschätzen welchen Körperteil es zuerst Angriff - und genau diesen Moment machte sich Ian zunutze und löste einen Schuss ab. Das lange, dünne etwas zerfiel in etliche Teile und war kurz darauf größtenteils an der gegenüberliegenden Wand wiederzufinden. "Oh man ... Ich glaub das Schwein war drauf und dran dir nachzupfeifen Hanna!"

William schloss die Augen und diesmal kam das Seufzen über seine Lippen. Welche Bestrafung war das hier nochmal ...? Womit hatte er das ...? Ach ja, da war ja etwas gewesen. Jetzt musste er also mit dieser Truppe am Ende der Galaxis leben und hatte auch noch ein kaputtes Schiff und Monster vor sich. Prima. Konnte ja nur besser werden.