Schatten im Zwielicht - Frostige Herzen, Hesinde 1019

"Man sollte es ja nicht für möglich halten, dass du auf deine alten Tage hin noch einmal erwachsen wirst", lachte sie leise und wich dem ersten spielerischen Hieb mit einer kurzen Bewegung hin aus, ihr Pferd ein wenig zügelnd und Raidri die Führung überlassend, weil er sich in dieser götterverfluchten Wildnis weit besser auskannte als jeder andere von ihnen. Ihr Blick wanderte noch einmal über die kleine Gruppe - Ediona, die auf einem viel zu großen Pferd für ihre Körpergröße saß, Olena, die sich nur mühsam auf ihrem Pferd hielt, Calenleya vorn bei Raidri - seltsam aktiv in diesen eisigen Temperaturen, Sheranius, der mit sauertöpfischer Miene am Schluss ritt, Makel, den sie vorher auf dem Pferd festgebunden hatten und das größte und stärkste Tier gesucht hatten, damit es ihn überhaupt tragen konnte und Svea, die seltsam eingefroren auf ihrem Pferd saß.
"Na?", fragte sie als sie ihr Pferd neben das der Thorwalerin lenkte und musterte sie. "Ich dachte, Thorwaler wären Kälte eher gewöhnt als wir verweichlichten Südländer."

Es dauerte einen Moment, bis Svea ihre Zähne auseinander brachte, die sie zusammengepresst hatte, damit niemand das stetige Klappern davon hörte. "Das sind wir auch", gab sie zur Antwort und zuckte dann etwas schräg und ungelenk mit den Schultern. Die Tatsache, dass sie erbärmlich fror statt sich über die Kälte und den Schnee zu freuen wie früher. "Ich bin dann wohl jetzt die große Ausnahme. Lass uns nur hoffen, dass die nächsten Kämpfe an Orten stattfinden, die über dem Gefrierpunkt liegen, sonst bin ich kein großer Nutzen mehr."

"Makel könnte dich noch immer werfen. Wusstest du, dass es in Albernia da ein Spiel gibt? Man stellt kleine Holzkegeln auf und wirft eine Kugel und muss mit einem Wurf alle treffen - Idra hat mir erklärt, dass es wohl Aufzeichnungen aus dem Bosparanischen Reich gibt, wo es gespielt worden ist", begann sie zu witzeln. "Wenn die Gegner klein genug sind, dann könnten wir dich einfach als Kugel benutzen - du musst dich eben nur ... klein und rund machen."

"Sehe ich aus wie ... klein und rund ...?", fragte Svea etwas ungläubig und deutete an sich hinunter, dann senkte sie die Stimme und deutete hinter sich. "Ediona ist viel kleiner! Und stell dir noch ein aktiviertes Auge dazu vor."

"Ich halte ein rotierendes Auge für gefährlicher als eine eingefrorene Geweihte? Du könntest dich an deinem Schild festhalten und außerdem bist du kleiner als ich."

"Rena, wie viel genau von dem Glühwein und dem nachfolgenden Wein hast du getrunken?"

"Wenn du mich so fragst - nicht genug", antwortete sie mit einem lapidaren Schulterzucken. "Wie war eigentlich dein Diskurs unter diesen ganzen Nandurianten? Hat dein Gesprächspartner irgendetwas Vernünftiges von sich gegeben und war das auch irgendein Unsinn wie bei den anderen?"

"Bis auf, dass alle Menschen vor den Göttern und den Kirchen gleich gestellt sein sollten? Den Rest kann man abhaken, auch, wenn ich mir sicher bin, sie haben teilweise erquicklichere Gespräche. Was hast du rausbekommen?"

Renas Miene verdüsterte sich für einen kurzen Moment, weil das, was Sveas Gesprächspartner da von sich gegeben hatte so vollkommen gegen die Ordnung des Götterfürsten sprach. Jeder hatte in dieser Welt seinen Platz, Gleichnis gab es allein schon nicht, weil sie nicht einem Bauern eine Krone aufsetzen konnten und glauben konnten, er würde ein Land besser verwalten wie jemand, der es über so viele Jahre gelernt hatte - auf der anderen Seite würde auch ein Adliger niemals ein Land so gut bestellen können, wie es ein Bauer konnte.
"Ich habe ein signiertes Buch über Sagen und Legenden bekommen?", gab sie zur Antwort und beugte sich hinab, um in einer der Satteltaschen nach dem Buch zu greifen und es Svea rüber zu reichen. "Nach allem, was passiert ist, finde ich das gar nicht so verkehrt und mein Gesprächspartner hat sich darüber gefreut, dass er Aufmerksamkeit bekommen hat. Es ging also."

"Sagen und Legenden klingen, als würden sie uns helfen können. Und zieh nicht so ein Gesicht, Rena. Ich weiß, wie zugetan du Praios bist durch deine Gläubigkeit an Phex, aber es darf auch andere Meinungen geben." Svea mummelte sich tiefer in ihren Umhang und zog den Fellbesatz bis über ihre Ohren. Es half nichts, gar nichts - sie wurde einfach nicht warm und eigentlich wollte sie sich nur hinlegen, einrollen und schlafen.

"Du weißt, dass dein Gesprächspartner dafür bereits mehr als einmal abgeführt wurde? Dass allein die Ansichten hier im Mittelreich dafür sorgen, dass du festgesetzt würdest?", stellte sie die Frage und verzog das Gesicht, weil sie zum einen wusste, ass Svea anders dachte und zum anderen, weil sie nicht hier waren, um jemanden für seine Ansichten festzusetzen. Warunk würde ohnehin nicht mehr viel Zeit haben - dieser Mann wahrscheinlich ebenso wenig - danach würde es schlimmere Ansichten geben als die Gleichheit vor Kirchen und Göttern.

"Ersteres war mir neu, zweiteres hatte ich erwartet", gab sie schulterzuckend zurück. "Aber ich würde unsere Mission nicht in Gefahr bringen und diese Dinge von selbst äußern, es sei denn, ich werde aktiv danach gefragt. Wahrheitspflicht ist nicht immer nur ein Segen. Du weißt zwar direkt, woran du bist, gerade für uns als Gefährten ist das nicht zu verachten, aber für Verhöre, Gespräche und Politgeplänkel bin ich nutzlos. Bis jetzt bin ich nur einmal in einem Kerker gelandet."

"Das war kein Kerker - das war die Kanalisation und eigentlich ... mein Zuhause ...?", stellte sie mit verzogenem Gesicht klar und schnaubte. "Und eigentlich war es nicht wegen dir, sondern mehr wegen Ediona."

"Das war kein Vorwurf - und ... Zuhause? Ich meine, Calenleya fand mein Zuhause ja schon nicht einladend, aber lass uns nochmal darüber reden, dass deines nun wirklich nicht besser war."

"Ich bin genau da aufgewachsen, nachdem die Echse mich aufgenommen hat und ich meine Weihe empfangen hab. Ich habe exakt in dieser Ecke geschlafen - am Boden, ohne Bett und wenn Feqza nett und die Übungen gut gelaufen sind, dann hatte ich eine Decke und Abendessen", antwortete sie und zuckte mit den Schultern. "Und deines war doch vollkommen in Ordnung? Ich mochte die kleinen Hütten in Thorwal eigentlich ganz gerne. Das war gemütlich."

Eine ganze lange Weile herrschte Stille, in der Svea verbissen geradeaus in die winterliche Landschaft starrte, dann irgendwann kam wieder Bewegung in ihren starren Körper und sie zügelte ihr Pferd, bis sie direkt und näher neben Rena war. "Wenn das vorbei ist, hat dein Leben eine Entschädigung für dich parat. Ich denke nicht, dass du nach all dem noch einmal auf dem Boden schlafen oder hungern musst. Und was die Hütten angeht ... ich mag sie auch, für unsere Elfe waren sie glaube ich nicht perfekt genug. Ein merkwürdiger Gedanke, weil wir viel Zeit und Arbeit hinein gesteckt haben ..."

Rena lächelte sacht. "Ich hab doch schon eine Entschädigung für all das bekommen, Svea. Ich hab meine kleine Familie und - auch, wenn das echt ein wenig seltsam ist - ich hab ein Zuhause im Fürstenpalast von Havena. Sie haben mich da irgendwie adoptiert und sind für mich stark, wenn ich das mal nicht kann und außerdem habe ich euch Chaoten bei mir. Was könnte ich denn mehr wollen? Mein Gott hat mir für diesen ganzen Mist sehr viel als Entschädigung gegeben, das ich mit keinem Gold der Welt wieder aufwerten könnte."

"Oh apropos Gold ... du weißt, dass dir ein Finger fehlt?"

"Ein ... Finger ...?", fragte sie und blickte hinab auf ihre linke Hand, an der ein Finger fehlte. "Oh nein ...", murrte sie leise und seufzte, weil sie bislang eigentlich ganz gut mit der Hand zurecht gekommen war. Dann, wenn sie wach war und noch die Kontrolle über ihre Hand hatte und sie nicht nachts in irgendwelchen Taschen kramte. "Ich hab ein wenig Angst davor, was die Finger in Havena tun werden ..."

"Vielleicht akzeptiert deine Hand es ja auch als Zuhause und benimmt sich?", schlug Svea halbherzig vor. "Von sich selbst muss man ja nichts stehlen? Oh ... - oh bei Swafnir ...!" Bevor sie losprusten konnte presste sie sich ihre Hand vor den Mund und deutete hinüber zu Sherianus Pferd, an dessen Schweif, vereinzelt mit Eisklümpchen durchzogen, sich ein silbriger Wurm zu winden schien. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich der Wurm als sehr geschickter kleiner Finger, der sich schwang und dann mit einem Hops in der Satteltasche des anderen landete. Zielgenau.

"Dir ist klar, dass du mit einem Finger nicht besonders viel mitnehmen kannst, ja?", murrte Rena zu der Hand hinab, die die Zügel ihres Pferdes umschlossen hielt, ergab sich dann aber schließlich ihrem Schicksal. "Wehe, du lässt dich erwischen."

Die Hand schien absichtlich entspannt mit dem sachten Wippen des Pferdehalses mitzugehen, unschuldig und glitzernd in der von Schnee reflektierten Helligkeit. So sanft, dass sogar Renas Arm nicht ganz mit der Bewegung mitzukommen schien und etwas ruppig wirkte, was einen merkwürdigen Kontrast ergab. Svea runzelte die Stirn. "Sagen wir es so ... deine Hand bekommt Schluckauf und spuckt Sachen aus, die dreimal so groß sind - übrigens sehr erstaunlich - dreimal so groß wie ein einzelner Finger kann durchaus zu einer ansehnlichen Menge Beute führen, wenn man es in Edelsteinen rechnet."

"Beim letzten Mal waren es genug Edelsteine, als dass ich eine neue Lieferung nach Havena fertig machen musste ... und Schmuck und anderer Kleinkram ... ich hab teilweise nicht einmal mitbekommen, dass sie überhaupt etwas in diesem Magierpalast eingesteckt hatte, in dem wir waren. Der Karfunkel zählte übrigens auch zu - wo kommt das denn her ...", murrte sie und seufzte schwer, weil sie noch immer nicht wusste, was sie mit einer diebischen Hand jetzt im Kampf gegen Borbarad ausrichten sollte.
"Sie hat dich noch nicht beklaut, oder?"

"Es fehlen ein paar Dukaten, aber sei es drum", wank Svea ab. Die Hand war zwar nicht auf frischer Tat ertappt worden, aber sie wusste zumindest, wie viel Gold und Silber sie bei sich trug und hatte es beim letzten Umschlichten und nach Havena schicken bemerkt. "Du bist an die richtige Thorwalerin geraten."

"Oh nein ... es tut mir leid, Svea!"