Kapitel 1

"Danke", hob Linnea die Stimme und meinte jedes Wort ehrlich, sich wünschend, sie könne ihm mehr geben als die Wahrheit in ihren eigenen Worten. "Ich wünschte, ich könnte sagen, was Aristeas will ... wir wissen es auch nicht und wir wollen ihn stoppen. Er ist vor einer Ewigkeit verschwunden und jetzt erst wieder aufgetaucht - keiner von uns kann sich erklären, warum er das getan hat, vor allem weil Euer Vater immer auf unserer Seite gestanden hat. Wenn es nach mir ging, würde ich ihn lieber gestern als heute zur Strecke bringen oder ... wenigstens festhalten, um ihn zu fragen, warum er das alles tut und warum er uns das antut."

"Das würden wir wohl alle gerne," eriwderte Willem kopfschüttelnd. "Aber ich glaube darauf setzt er. Eine Erklärung oder ein Grund würde nichts besser machen. Wir dürfen Aristeas keine Gelegenheit geben zu reden oder eine weitere Handlung auszuführen. Wenn wir ihn in die Finger bekommen müssen wir ihn töten. Schnell und endgültig, bevor er noch mehr Leute mit in den Tod reißt..." diese Worte waren hart, doch sie schienen mit jeder Silbe zu schmerzen, zumindest verzog Walerian das Gesicht, als wäre dem so. "Eure Freundin gehört dann also auch...?"

"Nicht wirklich. Sie glaubt genau dasselbe wie jeder andere", antwortete Linnea und suchte sich einen bequemeren Platz in dem großen Zimmer, in dem sie jetzt waren. "Ein paar besondere Fähigkeiten konnte ich bei ihr noch unterkriegen, aber sie glaubt viel zu sehr an die Templer und Gott - den Erbauer - wie auch immer, um die Wahrheit verkraften zu können ...", schob sie die Erklärung hinterher, Willems Gesicht sorgsam musternd und Bedauern huschte über ihr eigenes.
"Es tut mir leid, wenn ich nicht das bin, was Ihr erwartet habt und wenn die Wahrheit Euch mehr weh tut, als ich wollte. War es falsch Euch die Wahrheit zu sagen?"

"Nein", erwiderte Willem kopfschüttelnd. "Die Wahrheit ist oft schmerzhaft, aber niemals falsch!" er lächelte traurig und warf einen kurzen Blick zu der Tür, als befürchtete er, de Vere könnte diese jederzeit eintreten und sie alle gefangen nehmen. "Ich danke euch für diese Offenheit - vor allem in diesen Zeiten!" der Regent trat wieder zu den Tischen, nahm Federkiel und Tinte zur Hand und unterschrieb alles, was er noch unterschreiben konnte, ohne das Siegel zu benötigen. "Ich muss diese Befehle zu ihren Empfängern bringen!"

"Dann tut es mir leid jetzt sagen zu müssen, dass meine Anweisung war, Euch keine fünf Minuten aus den Augen zu lassen", schob Linnea nach und war mit einem Satz wieder auf den Füßen, die Position halb hinter ihm einnehmend. "Ich begleite Euch."

"Keine fünf Minuten?" er lachte und schüttelte den Kopf. "Aber wenn das eure Befehle sind, dann müssen wir diesen wohl Folge leisten!" er sammelte die Dokumente ein, schob sie alle zusammen und deutete dann zur Tür. Er schritt zur Tür und wandte sich dann doch noch einmal um und lächelte ihr zu. "Danke das ihr mir zur Seite steht!"

"Sagt das noch nicht", witzelte sie leise lachend und stieß ihn sacht in die Seite, erleichtert darüber, dass er wenigstens ein Lächeln zeigte, nachdem sie keine fünf Minuten vorher noch geglaubt hatte, er würde sie einfach vor die Tür setzen, weil er gar nichts mit ihr zu tun haben wollte. "Meine Freunde nennen mich übrigens Linn", schob sie noch hinterher und öffnete die Tür dann vor ihm, in den leeren Gang weisend. "Hoheit?", forderte sie ihn schelmisch auf und kaum, dass er den Schritt nach draußen gesetzt hatte, änderte sich ihre Miene wieder, wurde professioneller und ernster, weil sie wusste, dass es hier jede Menge Augen und Ohren gab, die auf Walerian achteten.

"Meine Freunde nennen mich Willem," erwiderte Walerian noch in ihre Richtung, ehe die großen Türen aufschwangen. Mit langsamen Schritten gingen sie durch den langen Gang und hier sowie dort drückte Willem einigen Wachmännern mit besonders buntem Federschmuck Befehle in die Hand. Er wandte sich noch einmal über die Schulter und zwinkerte Linea zu. "Alles gut?" fragte er leise zu ihr. Auch sie sah nicht besonders gut aus, wirkte gestresst und er machte sich sorgen.

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Chadim besah sich die Stätte aus zusammengelegten Mehl- sowie Strohsäcken und nickte zufrieden. Zusammen mit einigen Spatzen legte er die Tücher über die abgegrenzten Hubbel, so dass diese auch optisch an Betten erinnerten. Hier würde sie die nächste Zeit schlafen können, ehe sie wussten wie genau sie weitermachen wollten. Auch die Chance hier ihre verletzten zu behandeln und Gäste von außerhalb aufzunehmen sorgte dafür, dass sich die allgemein getrübte Laune etwas hob. "Hilfst du mir nachher dabei das Dach wieder wetterfest zu machen?" wandte sich der Heiler an Faye.

"Willem", wiederholte sie leise und lächelte weich, während sie ihm so lautlos wie nur möglich folgte. Sie versuchte sich all das hier wieder einzuprägen und nur die wenigsten Dinge hatten sich wirklich verändert - sie kannte noch einige der Ecken, wusste, wann sie etwas ausweichen musste und wunderte sich selbst darüber, wie nah die Erinnerung doch noch immer war, obwohl sie sich kaum mehr mit der eigenen Vergangenheit beschäftigt hatte. Ihre Mutter musste noch hier sein, wenn sie sich nicht täuschte - früher einmal war sie Hofdame von Willems Ehefrau gewesen und Linn wusste nicht, ob sie ihr wieder über den Weg laufen sollte.
"Alles gut", versicherte sie ihm leise, als sie aus der Hörweite von den Wachmännern waren. "Ich hab nur nicht gedacht Euch so schnell lächeln zu sehen. Kein Grund übrigens damit aufzuhören."

"Magisch?", hakte sie nach und zuckte mit den Schultern. "Dann nicht, aber ich kann dir händisch helfen und dich fangen, wenn du fällst?" Der Vorschlag entlockte auch ihr selbst nur ein müdes Lächeln, als sie die Schulter des Freundes sacht drückte.

"Ich versuche glaube ich einfach nur nicht vollkommen wahnsinnig zu werden..." versuchte Willem zu erklären. "Es entspannt mich wohl ein wenig, wenn ich mich nicht nur in Agonie ergehe!" sein Lächeln wurde etwas weniger, als er einen weiteren Blick aus dem Fenster warf, wo die Stadt - oh Wunder - noch immer in Trümmern lag. "Ich wünschte ich könnte mehr tun um den Menschen dort zu helfen!" erklärte er leise. Aber nach unten zu gehen und selbst anzupacken kam nicht in Frage - zu gefährlich.

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"Wie du mir hilfst ist mir egal," erklärte Chadim leise und grinste schief. "Hauptsache ich muss die Bretter nicht alleine nach oben tragen. Gerne nagel ich auch selbst die Bretter selbst an die Wand"

"Dann komm, lass uns etwas sinnvolles tun und wenn das erledigt ist, gehe ich Celeste suchen", antwortete Faye und küsste ihn auf die Schläfe. Chadim setzte das alles so sehr zu und sie wünschte, sie könnte ihm helfen ... vielleicht half schon ein wenig Gesellschaft.

Linnea nickte, auch weil sie Willem mehr als gut verstehen konnte - bedauerte es im selben Moment wieder, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte. "Die ganzen blauen Flecke, die Ihr habt", begann sie nach einer Weile. "Woher sind die? Wer hat Euch das angetan?"

Walerian stockte, als sie ihn auf die blauen Flecke ansprach und hatte für einen kurzen Moment das Bedürfnis die Ärmel nach unten zu ziehen, was jedoch eine verstohlene und durch und durch unwürdige Szene gewesen wäre. Also beließ er es dabei, sah zu den blauen Flecken und blinzelte. "Ach die? Auch ein Prinzregent muss sich im Schwertkampf über und selbst stumpfe Waffen können wehtun!" erklärte er die blauen Flecke .Woher sie wirklich kamen wollte er ihr nicht sagen.


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"Das klingt fair," erwiderte Chadim und trat zu einem kleinen Lager, wo er sich die benötigten Bretter klaubte und über die Schulter warf. "Da drin ist auch ein Eimer voller Nägel und irgendwo müsste ein Hammer sein!" erklärte der Heiler in Fayes Richtung. Die Geschehnisse des vergangenen Tages waren zwar nicht vergessen, aber es half ihm nun eine neue, eine sinnvolle Beschäftigung gefunden zu haben.

Linn glaubte ihm nicht ein einziges Wort, vor allem weil es ihm so unangenehm zu sein schien, dass sie ihn überhaupt darauf ansprach. Niemand, der den Schwertkampf probte und deshalb blaue Flecken aufwies, würde diese so verschämt zu verbergen versuchen, also musste etwas anderes dahinter stecken. Er wollte nicht darüber reden - es gab da also irgendetwas, das ihn noch unsicher machte und das ihm ganz offensichtlich peinlich war oder dessen Erinnerung viel zu sehr schmerzte. Linn beschloss es erst einmal dabei zu belassen und nickte dann.
"Wenn Ihr wollt, können wir gern zusammen üben. Ich bin ganz gut ausgebildet worden und ich würde zumindest zusehen, dass ich nicht die sichtbaren Stellen erwische, wenn ich Euch schon bei den Übungen verprügele", amüsierte sie sich und nahm damit seine Geschichte einfach auf. Wenn es ihm lieber war, dann würde sie eben bei dieser Geschichte bleiben.

Kurz wanderten Fayes Gedanken zurück zu dem oberen Stockwerk in Kaladir, in dem der Heilerbereich gewesen war. Wie die Hitze durch die Vorhänge flirrte und sich unter den Holzbalken sammelte und auch, wie man vom Giebel aus nach unten in den Heuhaufen springen konnte, wenn man es geschickt genug anstellte, ansonsten führte der direkte Weg wieder nach oben, diesmal als Patient. Sie erinnerte sich an den Duft der Heilkräuter, die dort trockneten und an die Salben, die sie zubereitet hatten. Unverkennbar herb, aber wohltuend. Nach dem Wasser, das sie vertrieben hatte, hatten sie hier in Hieronims Stadt Heimat gefunden und alles erneut aufgebaut, doch der Duft war niemals derselbe gewesen, geschuldet dem Klima und der Fauna vor den Toren des Hauses. Und nun standen sie abermals vor dem Nichts.
"Wenn ich draußen bin kann ich nach Goldwurz für ein paar Salben suchen, er könnte noch unter der Schneedecke sein."

"Zusammen üben?" echote Willem und schrägte den Kopf an. Er schien tatsächlich über diese Möglichkeit nachzudenken und nickte dann langsam, aber stetig. "Ja. Ja das würde ich sehr gerne!" er wandte sich gänzlich um und musterte dann Linnea noch einmal von oben bis unten. "Morgen früh?"

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Chadim wandte sich noch einmal um, nachdem Faye ihn angesprochen hatte und zwang so einen Spatzen dazu sich unter dem Brett zu ducken. "Goldwurz?" er warf einen Blick zum Dach, durch das einige verirrte Schneeflocken fielen. "Es könnte noch welchen geben, auch wenn ich nicht glaube, dass das lange so bleiben wird. Aber ja, Goldwurz könnten wir vor allem bei den Aufschürfungen gut gebrauchen."

"Belini!" de Veres Stimme schnarrte wie ein Peitschenhieb durch die Luft, während sich der Templer vor dem großen Turm positionierte, welche wie ein Zeigefinger aus dem Erdboden ragte.
Um ihn herum hatten sich einige Templer versammelt, die großen Turmschilde mit dem Auge erhoben und den Turm umzingelnd, als befürchteten sie, dass dieser sie jederzeit angreifen könnte.
"Hast du Erfahrung mit Magie?" fragte er in die Richtung der jungen Frau und deutete zum Turm. "Ich will jemanden, der da rein geht, ohne dass alle Fallen ausgelöst werden. Einer meiner Leute würde wohl nicht einmal durch die Barriere kommen!"
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"Bist du dir sicher, dass wir so üben sollen?" er deutete auf sich, auf Linn und dann auf die stählernen, ungeschliffenen Schwerter sowie auf die fehlende Polsterung. "Ich meine... ich könnte dir wirklich wehtun, weißt du? Ich bin relativ begabt was den Schwertkampf angeht. Meinem Vater war dies sehr wichtig."

Linn lachte leise und wog das stählerne Schwert noch einmal in ihrer Hand, prüfte den Schwerpunkt und machte ein paar kurze Bewegungen in der Luft, um ein Gefühl für die Waffe zu entwickeln. "Das ist schon in Ordnung", antwortete sie mit einem simplen Schulterzucken. "Es sind nur ein paar blaue Flecke vom Üben. Das wird mich nicht umbringen", fügte sie noch hinzu und musterte den Königssohn dann noch einmal, der seltsam fehl in seiner Rolle wirkte. "Das heißt, wenn Ihr mich wegen ein paar blauen Flecken nicht bestrafen werdet, die ich Euch zufügen werde."

Ariana fuhr nicht zusammen, hob aber den Kopf und runzelte die Stirn, ehe sie sich erhob und zu de Vere hinüber trat. "Mit Verlaub, ich kann es versuchen, aber es ist Lyras Turm. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sämtliche Vorkehrungen getroffen hat, damit ihn niemand betreten kann. Ohne einen anderen Magier, einen mächtigen, kann ich dort nichts ausrichten, außer meinen Tod zu finden."

"Ich bin bereit dieses Risiko einzugehen..." erwiderte de Vere ungerührt und deutete auf den Turm. "Ich will das der gesamte Turm abgerissen wird, aber vorher will ich wissen, ob mich irgendwelche bösen Überraschungen erwarten, wenn wir das versuchen. Und beim Erbauer - ich werde keinen meiner Leute in diese Gefahr begeben!" er fuhr sich über den mittlerweile grau melierten Bart und schüttelte den Kopf. "Und Lyra wird uns kaum einen Schlüssel geben!"

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"Seid nicht albern!" erwiderte Willem kopfschüttelnd. "Ich habe euch darum gebeten mit mir zu üben - und ich bin kein Despot..." er hielt kurz inne und sah sein Gegenüber aus großen Augen an. "Oder wirke ich auf euch wie ein Despot?" fragte er, mit ernsthafter Sorge in seiner Stimme. "Ich weiß, dass einige dies meinem Vater nachgesagt haben und so sehr ich sein Andenken ehren will, ich will nicht, dass derlei Ansichten über mich in Umlauf geraten!"

"Wenn es nicht Eure Männer sind, wie soll es dann geschehen? Ihr müsstest ihnen einen Befehl geben, ihn einzureißen. Natürlich können wir versuchen, die Zauber zu analysieren, die darauf liegen, aber wenn ich von der Hofzauberin auch nur etwas gelernt habe, dann, dass sie ihren Turm lieber explodieren ließe, ehe ihn jemand fremdes beträte." Ariana sah hinüber auf das Gebilde, auf die Vorsprünge und die Türmchen, die Balkone und die verglasten Fenster. Was dort drüben wartete, war nur Verderben.

Linnea lachte leise und schüttelte den Kopf. "Nein", antwortete sie kopfschüttelnd und setzte den ersten Schritt nach vorn, den ersten Angriff antäuschend, nur um mit der flachen Seite des Schwertes gegen sein Schienbein zu schlagen, wie Eleonore es ihr damals als Kind immer beigebracht hatte. Sie hörte die andere noch immer in ihren Ohren, die sie schallt, dass sie nur redete und viel zu langsam war - dass sie auf die Schultern ihres Gegenübers achten sollte, statt auf die Waffe.
"Nein, wirklich nicht. Ihr macht Euch zu viele Gedanken darüber, was andere von Euch halten könnten."

De Vere hob eine Braue. "Diesen Befehl werde ich bei Gelegenheit auch geben, aber zuvor möchte ich sicher gehen, dass wir alle wichtigen Objekte aus dem Turm geborgen haben und Lyra verweigert aktuell sämtliche Zusammenarbeit - wenngleich ihr auch klar sein muss, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen wird!" er verschränkte die Arme vor der Brust. "Ihr weigert euch also auch?"

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"AU!" heulte WIllem auf, als ihn der Schlag hart am Schienbein traf. Tränen schossen ihm in die Augen, doch erblinzelte diese tapfer fort. "Hinfort elende Natter!" er hieb nach ihr, doch Linn wich aus - auch dem darauf folgenden Stich konnte sie entweichen. "Lyra sagte immer, dass es enorm wichtig ist was andere von uns halten - denn die Wahrnehmung der Masse formt die Welt!"

"Ich weigere mich nicht. Aber vielleicht könnte ich mit Lyra sprechen und sie dazu bringen, uns entgegen zu kommen."