Kapitel 1

"Ich bin absolut nicht gefährlich - der ganze Käse hält maximal eine Minute an. Es ist nur praktisch, Sachen aufzufangen, die sonst zerscheppern würden wie Vasen. Und die Visionen?"

"Wie gesagt, kaum gefährlich. Höchstens für mich," erwiderte er und nahm den Kaffee zu sich und schüttete sich diesen die Binde hinunter. "Hat mich mehrfach fast in eine Psychose getrieben. Das will ich verhindern."

"Mit Alkohol? Der Versuch ist richtig scheiße, das wissen Sie, oder?"

"Der Scheiß funktioniert," erwiderte der andere nur kopfschüttelnd. "Wars das also mit der Fragestunde?"

"Nein. Was haben Sie rausgefunden?"

"Nicht viel ehrlich gesagt," erwiderte er niedergeschlagen. "Und ehrlich gesagt frustriert mich dies mehr als ich ausdrücken kann..." er ließ die Schultern hängen. "Und sie? Gab es schon Infos von der Autopsie?"

"Nein. Pete wollte nachher vorbei kommen, sobald er etwas weiß. Der Weg ist nun wirklich nicht weit und er lebt zwanzig Meilen in die andere Richtung, muss also ohnehin hier durch. Was hat Madison gesagt?"

"Raus," erwiderte er kopfschüttelnd. "Sie hat vor allem gesagt, dass ich raus gehen soll!" erwiderte er nur grinsend. "Aber ehrlich gesagt sonst nicht viel. Ihre Schwester schien ein echtes Musterleben geführt zu haben. Geradezu langweilig."

"Was haben Sie erwartet? Drama und Tragödie? Wir sind ein kleines Kaff am Ende der USA."

"Kein Mensch ist glücklich," erwiderte er dunkel, beinahe düster. "Wieso sollte es hier anders sein?" er schüttelte ungläubig den Kopf. "Wer sagt, dass es ihm wirklich gut geht, der lügt verdammt noch mal!"

"Das ist eine grobe Unterstellung und ich bin nicht gewillt, sie zu unterschreiben. Glücklich sein bedeutet nicht, immer happy verstrahlt durch die Gegend zu rennen und Glitzerstaub zu spucken, sondern mit dem Leben zufrieden sein, das man hat. Ich bin es und Sie können mir sagen, was Sie wollen - selbst mit Ihnen als neuem Kollegen ist mein Leben gut."

"Das verletzt mich aber jetzt," erwiderte Callum kopfschüttelnd. "Ein weiterer Strich auf meiner großen imaginären Liste der Depression," er stand auf, ging zu der Kaffeemaschine und nahm sich eine erneute große Tasse schwarzen Kaffees zu ziehen. "Aber gut. Ist ja nicht ihr Problem wenn ich heute Abend Alkohol und Schlaftabletten zu einer weiteren Runde des 'Was kann schon passieren' Tangos einlade...." er grinste bitterlich. "Also, wie geht es weiter?"

"Ich bin gerade geneigt, Sie zur Ausnüchterung - und um Sie von eigenem Schaden abzuhalten - in die Zelle zu stecken", antwortete sie wie nebenbei und besah sich das kalte Gesöff, mit dem sie eben noch gespielt hatte, ehe sie es von sich schob. "Dann warte ich auf Pete und werde Madison und ihre Eltern danach noch einmal aufsuchen."

"Was halten Sie davon, wenn ich das Sofa in der Ecke statt die Ausnüchterungszelle nehme?" fragte er mürrisch nach. Diese Schlacht hatte er sowieso verloren - und solange sie noch keine neuen Erkenntnisse hatten onnte er seine Kräfte auch sparen. Sobald sie eine Richtung hatten würde er seine Arbeit wirklich beginnen und dann würde ihn auch dieses kleine Persönchen nicht aufhalten können.

"Wir sollten übrigens noch Robert befragen. Er hat MacKenzie gefunden." Charlie deutete auf das Sofa und steckte dann seine Schlüssel in ihre eigene Hosentasche, damit er gar nicht erst auf dumme Gedanken kam.

"Machen sie das, ich habe genug für heute. Aber wenn sie mich fragen ist das Zeitverschwendung. Das Meer hat sie angespült, da wird ihnen kein Zeuge mehr zu sagen können!" erwiderte der Cop und verzog sich auf die Couch, nahm die gepunktete Blümchendecke, die dort zusammengefaltet lag und musterte diese kritisch. Diese Schlacht war nicht nur verloren, er war mit Pauken und Trompeten untergegangen.

"Zeitverschwendung also, wenn er uns doch noch etwas wichtiges sagen könnte? Momentan haben wir ja ohnehin nichts zu tun und es wird nicht Ihr neues Hobby werden, durch Rausch ausschlafen die Hälfte der Arbeitszeit zu reduzieren bei vollem Gehalt. Davon brauchen Sie noch nicht mal träumen!"

Callum warf die Decke wieder über die Schulter, wo sie gänzlich verknoddelt wieder auf der Couch landete. "Verflucht noch eins - sie wissen auch nicht was sie wollen oder? Na gut, aber sie fahren. Und sie übernehmen das Gespräch, die ganze Stadt hier scheint mich ja nicht zu mögen. Keine Ahnung waurm..."

"Williams - ich meinte ... ich gehe dorthin. Schlafen Sie - ausnahmsweise."

Callum unterdrückte einen weiteren Fluch. Deswegen hatte er nie geheiratet - Weiber, die konnten sich niemals auch nur im Ansatz vernünftig ausdrücken. "Wissen sie was, ich geh pennen - schauen sie, dass sie neue Infos rankarren und dann denken wir gemeinschaftlich drüber nach!"

Charlie grinste nur, salutierte läppisch und ließ die Geste dann in einem zappeln ihrer Fingern enden, als wollte sie jemandem winken, während sie sich umdrehte. "Keine Sorge, ich tue meinen Job, aber ich sehe nicht ein, dabei so eine Grimasse zu ziehen. Gibt nur Falten."

Callum betrachtete die deutlich Jüngere nur mit einer seltsamen Mischung aus Spott und Neid. Wie konnte jemand nur derart fröhlich und positiv gestimmt sein? Mit Sicherheit war es dieser Wind, der hier am Meer viel zu sehr pustete und sich in den Bäumen verfing - das musste jedem gesunden Menschen den Verstand aus dem Kopf puste. Oder es war irgendetwas in der Nahrung. Der Blick seiner dunklen Augen taxierte sie noch lange. C2. Verdammt - wieso war so ein Talent in diesem Küstenkaff gefangen? "Falten machen bei mir auch nichts mehr aus", erwiderte er jedoch nur grummelnd statt weitere Widerworte zu geben.

Hätte jemand nach dem klassischen Bild eines Amerikaners mit Ureinwohnerwurzeln gesucht, hätte man bei dem Anblick von Robert zufrieden genickt. Der schlanke Mann Ende dreißig saß mit seinem weiten Westernhut, in dem drei Federn steckten auf einer Parkbank die Richtung Meer stand, Die Fransen an seiner Lederjacke tanzten in der milden Nachmittagsbrise langsam auf und ab. In seinen Händen hielt er, dem Klischee noch mehr entsprechend, einen aus Eibenholz geschnitzten Becher in dem ein dampfender Kaffee vor sich hin schwappte. Ein Detail störte das friedlich Bild jedoch - der Gesichtausdruck Roberts war verkrampft und seine Hände zitterten ein wenig, verschütteten beinahe etwas von dem heißen Gebräu auf seiner dunklen Handfläche. Die Bilder gingen ihm nicht aus dem Kopf - die aufgedunsene Leiche die er am Morgen gefunden hatte, als er zur Beobachtung hinausfahren wollte - und dann schnell mit Schrecken wieder umgekehrt war.

"Hey Rob", grüßte Charlie, als sie gerade die Autotür weit genug geöffnet hatte, um heraus zu steigen. Der andere sah mitgenommen aus - kein Wunder bei dem Fund, den er gemacht hatte - und sie war im Grunde froh, dass nicht Williams hier die Befragung führte. Er vergrellte schon genug Leute, da musste Robert nicht auch noch hinzugezählt werden. Langsam kam sie näher und ließ sich neben ihm auf der Bank nieder. "Wie geht's dir?"

"Der Morgen war blutig, in meinen Gedanken wie auch in der Welt, die Geister", er sah kurz zu ihr auf und zeigte dann ein schiefes Lächeln. "Du kennst mich inzwischen zu lang, mein Ahnengerede bewirkt bei dir gar nichts mehr", das Lachen löste einen Teil der dunklen Gedanken, worum er mehr als dankbar war. "Ich hab dir noch einen Kaffee aufgehoben", eine zweite Holztasse kam aus einem Lederrucksack zum Vorschein und kurz darauf auch eine alte, blassgrüne Thermoskanne. "Und wie es mir geht? Naja ich hab die nächsten Tage erst einmal frei bekommen aber eigentlich will ich das gar nicht, der ganze Mist verfolgt einen in jeder Sekunde und wenn man nicht einmal die Arbeit hat mit der man sich ablenken kann, starrt man wie ich nur gedankenverloren aufs Meer."