Kapitel 1

Callum fing die Schlüssel auf, nickte dann und glitt zur Tür. Ihm fiel das aufsperren schwer, seine Hände zitterten, aber er verbarg diesen Umstand durch deinen massigen Körper und mit einem erlösenden Klicken sprang die Tür auf. Der Regen war stärker geworden und peitschte gegen die Scheiben, wurde immer lauter und als sie hinein gingen hörte man das Prasseln von draußen. Er schaltete das Licht an und es dauerte eine Weile bis die Halogenröhren flackernd und mit dem bekannten Geräusch ansprangen. Was eine Drecksbude. Er besah sich das neue Revier, glitt dann zur Küche und sah dort auf die alte Filterkaffemaschine. Das war doch alles nicht wahr...

~*~

"Hier, trinken sie," er stellte den Pappbecher mit dem Kaffee vor Madison ab und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. "Ich habe einige Fragen, wenn das für sie in Ordnung wäre?"

Mit der Decke um ihre eigenen Schultern, die sie darum geschlungen hatte, weil sie zwar nass aber wenigstens noch ein bisschen warm hielt, starrte Madison auf ihren Pappbecher hinab. Sie hatte die Finger beider Hände darum geschlungen, starrte auf die dunkle Flüssigkeit darin und konnte sich trotzdem nicht davon überzeugen auch nur einen Schluck davon zu nehmen. MacKenzie ... wer konnte ihrer Schwester nur etwas antun ... warum ausgerechnet ihre Schwester ... sie war gut gewesen, freundlich und aufrichtig ...
"In Ordnung ...", stimmte sie nach einer ganzen Weile zu und hob den Blick, um ihr Gegenüber zu fixieren.

Er nickte langsam. "Ich weiß, dass das schwer für sie ist. Aber bitte beantworten sie alle Fragen ehrlich. Wenn sie es nicht könnern sagen sie es bitte - aber lügen sie nicht und lassen sie nichts weg.." er nickte langsam. "Sie kennen ihre Rechte?" hakte er noch einmal nach, wartete bis die andere nickte und fuhr dann weiter fort. "Ich muss sie dies jetzt Fragen Miss Crawford. Hatte ihre Schwester Feinde? Und zudem: Welche Fähigkeiten hatte ihre Schwester?"

Madison starrte den anderen an und wusste nicht, was sie im ersten Moment sagen sollte, weil sie nicht begriff, was der andere ihr sagen wollte. Kannte sie ihre Rechte? Glaubte er wirklich, sie hatte ihrer Zwillingsschwester irgendetwas angetan? Sie hätte MacKenzie niemals auch nur ein einziges Haar gekrümmt. Betäub und von der Frage überfordert nickte sie schließlich und nahm dann schließlich doch einen Schluck aus dem Pappbecher.
"... nein ... MacKenzie hatte keine Feinde ... sie hat sich mit ein paar Mädchen aus dem Kunstkurs nicht vertragen, aber sie haben nicht miteinander geredet ... das war keine Feindschaft ...", versuchte sie es zu erklären und schluckte dann. "... wir haben keine", schob sie dann nach. "MacKenzie und ich haben keine Fähigkeiten ... uns konnte bisher keiner sagen, warum nicht ... aber wir sind normal geblieben ..."

"Kann es sein, dass ihre Schwester ihre Fähigkeiten geheim gehalten hat, damit sie sich nicht minderwertig fühlen?" hakte er nach. "Und erzählen Sie mir mehr von den Frauen aus dem Kunstkurs."

"Nein ... MacKenzie und ich haben alles zusammen gemacht. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander ... manchmal ... manchmal haben wir die Rollen getauscht", brachte Madison vor und schluckte dann wieder schwer, weil ihr erneut die Tränen in die Augen schossen und über die Wangen liefen. "Das ist keinem aufgefallen ... nie. MacKenzie war besser in Kunst und Sprachen ... ich eher für Mathematik ... sie war ruhiger und erwachsener ..."
Mit den Enden der Decke wischte sie sich über die verquollenen Augen, wischte die Tränen weg und erstickte das Schluchzen in einem weiteren Schluck Kaffee. "Entschuldigung ... die Frauen ... zwei Mädchen, die MacKenzie als Streberin bezeichnet haben und sie deshalb aufgezogen haben. Nicht der Rede wert ... keine Angriffe oder ähnliches. Ich hab sie mal zur Rede gestellt, als MacKenzie sich darüber beklagt hat und dann haben sie sich ein neues Opfer gesucht und MacKenzie ignoriert ... da war nichts ..."

Er nickte und glaubte der Einschätzung der Anderen - die beiden Mädchen schienen wirklich nicht in das Profil eines Mörder zu passen. Doch eine andere Sache beunruhigte ihn und er beugte sich ein wenig nach vorne. "Haben sie womöglich Feinde Miss Crawford? Wäre es möglich, dass jemand eigentlich sie umbringen wollte und sie nur verwechselt hat? Womöglich benötigen sie Polizeischutz."

Madison wurde blass während sie den älteren Polizisten anstarrte und dann ihren Blick hinüber zu Charlie wandern ließ, als wolle sie sich vergewissern, dass sie dieselben Gedanken hatte. Wenn MacKenzie ihretwegen umgekommen war ... wenn wer immer das getan hatte, sie hatte erwischen wollen ... ihre Schwester war vielleicht nur ihretwegen gestorben. Die Gedankenspirale zog sich in ihrem Geist zu, sperrte jeden vernünftigen weiteren Gedanken ab und ließ sie heftiger atmen während das Blut in ihren Adern rauschte und in ihrem Kopf dröhnte. MacKenzie war vielleicht ihretwegen gestorben ...
"Ich ...", begann sie stotternd und schluckte noch einmal, aber das taube Gefühl in ihrem Magen blieb bestehen. "... hatte eine dumme Trennung hinter mir ... MacKenzie war deshalb bis gestern Abend bei mir ... er war ein Stalker ... ist ... ich hab deshalb mit einem Anwalt gesprochen und MacKenzie hat mich begleitet ... es ging um eine einstweilige Verfügung ... die ist noch nicht durch ..."

Der Polizist nickte langsam und verständnisvoll. Volltreffer. Das würde zudem die Narbe am Unterkörper erklären. Er hatte das Opfer erniedrigen wollen, war womöglich mit enormer Brutalität vorgegangen, was für eine Beziehungstat sprach. "Können sie mir den Namen nennen Miss Crawford? Ich werde mich persönlich darum kümmern, dass er in Untersuchungshaft kommt. Allein schon für die Sache mit dem Stalken. Dann wäre er vorerst aus dem Verkehr gezogen," er lächelte knapp, kratzte sich an seinem Drei-Tage-Bart. "Was können Sie mir sonst noch über ihre Schwester sagen? Wissen sie, wo sie hin wollte, nachdem sie sie verlassen hat?"

"Jonah Mikael ...", sagte Madison leise und schluckte noch einmal, weil sie nicht so recht wusste, ob sie Jonah etwas ähnliches zutrauen sollte. Er war ihr gefolgt, hatte ihr Bilder und Nachrichten geschickt, aber er hatte ihr nie weh getan ... er hätte niemals etwas gegen sie getan, vor allem nicht, weil er sie noch immer zurück haben wollte und sie nur diejenige war, die ihn hinter sich gelassen hatte.
"Nach Hause ... MacKenzie war über das Wochenende bei mir und ist gestern Abend losgefahren, um zurück in ihre Wohnung zu kommen ... sie wohnt da mit ihrem Freund zusammen. Sie hat noch mit ihm telefoniert bevor sie heim gefahren ist und hat ihm gesagt, dass sie jetzt los fährt ...", erzählte sie weiter und schluckte. "Sie sind seit 8 Jahren zusammen ... sie wollten nächstes Jahr heiraten ... MacKenzie und ihr Freund haben über Kinder nachgedacht ... sie haben das Kinderzimmer schon eingerichtet aber es hat bisher nicht geklappt ..."

Callum nickte. Der zweite Verdächtige. Womöglich war er wütend darüber gewesen - womöglich hatte er ihr deshalb in den Unterleib gestochen...
Doch der Inspektor blieb still - solche Vermutungen waren gefährlich und sollten nicht geäußert werden. "Ich danke ihnen. Sie haben uns wirklich weiter geholfen. Alles was sie nun noch tun müssen ist immer für uns erreichba rzu bleiben!" er schenkte der anderen ein Lächeln. "Wir klären das schon alles auf"

Klinisch, kurz. Charlie, die mit einem Becher Kaffee an den Schreibtisch gelehnt daneben gestanden hatte, stellte nun die dampfende Brühe ab und trat hinzu. Man konnte ihm ja nicht vorwerfen, nachlässig zu befragen, jedenfalls für den Moment nicht, aber menschlich war er eine Katatstrophe. Selbst sein Lächeln war einfach nur trainiert professionell und während sie natürlich wusste, dass man Abstand zu Opfern, Tätern und allen anderen halten sollte, konnte sie ihm in diesem Moment dabei nicht zustimmen. Hier saß eine aufgewühlte junge Frau, die gerade ihre Schwester verloren hatte und das nicht durch einen Autounfall. Sanft drückte sie Madisons durchweichte Schulter.
"Danke für deine Antworten, Madison. Hast du noch Fragen? Können wir etwas für dich tun?" Abgesehen vom Offensichtlichen - dem nach Hause bringen.

"Ich weiß nicht, warum jemand MacKenzie was antun sollte ... sie war gar nicht seltsam oder hat komische Nachrichten bekommen ... in den Filmen und Serien kriegen doch Opfer immer seltsame Nachrichten oder verhalten sich komisch ...", flüsterte sie in ihre leere Kaffeetasse hinein. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, warum jemand ihrer Schwester ... ausgerechnet ihrer ruhigen und besonnenen Schwester, diejenige, die ihr Leben so sehr im Griff hatte während sie selbst nur umher stolperte, etwas antun sollte. Sie hatte ja noch nicht einmal Fähigkeiten gehabt, die für jemanden hätten interessant sein können ... da war einfach nichts gewesen.
"... ich glaub, ich will nach Hause ..."

"Ich bringe dich hin. Wenn du mir deinen Schlüssel gibst, kann Inspector Wi- ..." Sie hielt inne, als sie gerade an Williams vorbei ging, weil ihr ein nur zu bekannter Geruch in die Nase stieg und schüttelte ärgerlich den Kopf. "Nein. Ich bringe dich heim und warte, bis deine Eltern da sind. Ich weiß, deine Gedanken werden gerade überall hingehen, aber bitte versuch, es nicht mit der Welt von Kino und Fernsehen zu vergleichen. So läuft die Welt nicht."

"Sie haben einen Schlüssel ... ich glaub, ich will gerade schlafen ...", teilte Madison leise mit und erhob sich wieder von ihrem Stuhl, die Decke noch immer mit beiden Händen festhaltend, weil sie zumindest dabei half, ihr noch ein wenig mehr Schutz vor dem zu geben, was dort draußen auf sie wartete. Ihre Schwester ... jemand hatte ihre Schwester ermordet und sie war nicht da gewesen ... sie hatte sie nicht schützen können. "... sie ist die 109 gefahren bis Hoquiam ... ihr Auto muss doch da noch sein ..."

"Williams" diesmal war ihre Stimme scharf, als sie sich zu dem anderen umwandte, eine Hand an Madisons Rücken. "Finden Sie jemanden, der das Auto untersucht und dann herbringt. Und damit meine ich nicht Sie." Schlimm genug, dass er bis hierhin gefahren war.

Williams runzelte die Stirn und hob die Augenbrauen. Was sollte denn jetzt dieser Tonfall? "Meinetwegen," erwiderte er jedoch nur schulterzuckend. Als wäre er jetzt sonderlich scharf darauf gewesen die ganze scheiß Strecke zu fahren. "Ich kümmer mich drum. Das Auto wird dann auch erst einmal untersucht. Vielleicht findet man ja Faserspuren", gab er zu bedenken und nickte. Besser wenn sie alle Möglichkeiten in Betracht zogen. "Kann ich sonst noch etwas für sie tun?"

Charlie schob Madison aus der Tür hinaus, dann wandte sie sich kurz um. "Zu Dienstbeginn zurechnungsfähig und nüchtern sein." Und ehe er noch etwas sagen konnte, zog sie ihm die Tür vor der Nase zu.

Madison nahm die Worte der anderen nicht mehr richtig war, sondern lief wortlos vor Charlie her bis zurück zu dem Dienstwagen. Irgendwo auf dem Weg hatte sie ihre Decke einfach auf den Boden fallen gelassen und sie trotz der Kälte, die ihr jetzt plötzlich zu den nackten Armen zog, nicht mehr aufgehoben. Es war jetzt auch gleichgültig. Das Rumpeln der Fahrt nahm sie ebenso wenig wahr, wie die leise Musik, die über das Radio an ihre Ohren drang und die viel zu fröhlich wirkte. Wusste sie denn nicht, dass MacKenzie tot war ...? Der kurze Anflug von Zorn auf den Menschen in dem Radio flammte in ihr auf und nahm ihr den Atem, nur um im selben Moment wieder im Keim erstickt zu werden, weil der Rest ihres Verstandes ihr sagte, dass der Mann nichts dafür konnte.
Sie hatte es ja selbst erst vor Kurzem erfahren. Mit zitternden Fingern schob sie sich nach einigen Minuten aus dem Wagen, fischte die Schlüssel aus ihrer Tasche und taumelte in das kleine Haus, das sie ihr eigen nannte, nur um sich mitsamt ihrer Kleider ins Bett fallen zu lassen und die Decke über sich zu ziehen, die Knie zu sich heranziehend und die Arme vors Gesicht geschoben.

Charlie wäre verdattert gewesen, wenn sie nicht verdammt noch mal wusste, wie sich die Situation anfühlte. Sie folgte Madison ins Haus, schloss die Eingangstür ab, räumte die Schuhe fort, die sie immerhin ausgezogen hatte und fand die Jüngere dann schließlich im Bett vor. Sie war bereits zugedeckt und viel mehr konnte Charlie gerade auch nicht tun, abgsehen von noch einer weiteren Decke über ihr ausbreiten, für den Fall, dass die erste bald nass war. Dann sah sie unter dem Bett eine Wärmflasche hervor lugen und nahm sie mit in die Küche, das alles, während sie im Kopf hatte, dass ihr neuer Partner in seiner ersten Nacht besoffen zum Dienst erschienen war. Wie konnte man so nachlässig sein?

Callum starrte in den Rückspiegel seines Wagens, während er langsam das Gaspedal hinab drückte und zugleich auf das hektischer werdende Piepen seines Wagens achtete, welches ihn vor der nahenden Kante warnte, welche das Ende des Parkplatzes symbolisierte. Mit einem letzten Schlenker des Lenkrades blieb er in der Parklücke stehen, stieg aus und knallte die Tür des Wagens zu, so fest, dass die Hülle des Außenspiegels abfiel. Callum wollte sich bücken, als ein Schmerz durch sein Kreuz schoss und er beschloss das verdammte Ding einfach unten liegen zu lassen.
Verschlafen stampfte er die Treppe hinauf und schritt in das Revier, hörte kruscheln und tackern. "Morgn.."

"Guten Morgen, Sonnenschein", begrüßte Charlie den anderen und wandte sich zu ihm um, die Arme vor sich verschränkt. Die Kaffeetasse hinter ihr dampfte und verbreitete einen einladenden Geruch im ganzen Büro, in dem noch kein anderer Mitarbeiter war. "Nüchtern und wach, wie ich sehe?"

Callum grummelte nur etwas in Charlies Richtung und glitt ebenfalls zu der Kaffemaschine, nahm sich den Krug und schenkte sich etwas ein. "Klar..." erwiderte er knurrend.
Er nahm einen Schluck von der Plörre, die die anderen Kaffee nannten . "Hat sich gestern Abend noch was ergeben?"

"Außer, dass ihre Eltern ankamen? Nichts. Sie konnten mir auch nicht mehr sagen als Madison. Keine weiteren Feinde, keine Streitereien, nicht einmal Unstimmigkeiten in der Familie selbst - es gibt einfach keine Tragödien. Ich hatte ein paar Stunden Schlaf, bevor ich hierher gekommen bin aber das war es auch. Dort drüben stehen Donuts - für den Fall, dass Sie die lieber mögen als den Kaffee hier, ja, es fällt auf, dass Sie das Gesicht verziehen." Sie zuckte die Schultern. "Pete hat sich noch nicht gemeldet."

"Kann hier überhaupt irgendwer was?" grummelte er und trat zu den Donuts, öffnete die Schachtel und stopfte sich die ersten Donuts in den Mund, kaute auf dem pampigen Inhalt herum, welcher erstaunlich gut schmeckte und irgendwie wenig nach Inhaltsstoffen....
"Ich verdächtige übrigens den Exfreund," erklärte er zwischen zwei Bissen und taxierte Charlie.