Kapitel 1

"Ist ihnen womöglich irgendetwas in letzter Zeit an ihrer Schwester aufgefallen? EIn Geruch vielleicht? Hatte sie womöglich eine sexuelle Beziehung neben ihrem Freund? Sprach sie von Veränderung? Dem Wunsch mehr aus ihrem Leben zu machen?" hakte er nach und klappte schließlich eines der Bilder um,dass die nunmehr Ermordete zeigte. "Jedes Detail ist wichtig."

Madison runzelte jetzt die Stirn, weil sie nicht begriff, weshalb der andere ihr diese Fragen stellte. Sie mochte die Fragen nicht, sie taten weh, weil er ihrer Schwester unterstellte, dass sie untreu gewesen war - dass sie Geheimnisse vor ihr gehabt hatte. Ausgerechnet vor ihr, die doch alles mit ihr geteilt hatte. "MacKenzie war nicht so", antwortete sie während der Kloß in ihrem Hals wieder wuchs und ihr die Tränen erneut über die Augen liefen. "Sie macht sowas nicht ... sie war glücklich so wie es war. Sie wollte gar nichts anderes."

"Wollte sie also nicht..." erwiderte Callum und nickte dann langsam, ließ sich auf ein Sofa fallen und starrte Madison eine ganze Weile an. Er konnte sich kaum vorstellen, dass irgend ein Kleinstadtmädchen mit irgendwas zufrieden sein konnte. Niemand war wirklich glücklich. Sie alle waren kleine Hamster in gewaltigen Hamsterrädern, die sich stets um sich selbst drehten und niemals eine Lösung fanden. Jeder kurze Glücksmoment war nicht mehr als ein vorbeiziehender Heroinshot, der süchtig machte und einen nur nach dem nächsten Moment des flüchtigen Glücks suchen ließ. "Es freut mich, wenn sie so glücklich war."

Eine ganze Weile lang starrte Madison den Älteren an und wusste nicht, wohin mit dem Haufen an Emotionen, die da gerade in ihrem Inneren schwelten. Dieser feindsinnige Ausdruck in seinen Worten reizte den letzten Rest an Widerstand in ihr, machte sie zornig während sie den anderen anstarrte und hilflos die Arme in die Luft warf, nur um wenig später nach einem Kissen auf der Couch zu greifen und es mit aller verbliebener Kraft gegen ihn zu feuern. "Was wollen Sie eigentlich?!", platzte es aus ihr heraus, während ihr bereits die Tränen über die Wangen liefen.
"Sie kommen hierher und unterstellen meiner Schwester irgendeine Affäre! Sie ist tot, verdammt! Irgendein Schwein hat sie umgebracht!" Ihre Stimme überschlug sich, wurde schriller, nur um dann wieder im Schluchzen zu ersticken. "Ich hab meine Schwester heute früh identifizieren müssen! Es ist ihnen scheißegal! Ja, ich hab ein Auge für Details und meine Nase ist auch in Ordnung und ich hab den Alkohol gerochen! Verschwinden Sie einfach! Verschwinden Sie aus meiner Wohnung!" Erneut folgte das nächste Kissen. "RAUS!"

Callum stand auf, nickte dann langsam. "Gut. Danke. Das war alles was ich wissen musste," erklärte er und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. "Ich danke ihnen sehr für Ihre Mitarbeit. Ich verstehe, dass Sie momentan aufgebracht sind," er wandte sich um, spürte das nächste Kissen im Rücken, während er langsam zu der großen Tür stapfte. Sie warf ein erneutes Kissen nach ihm. Mitten in der Bewegung blieb er stehen, schien sich kurz zu verkrampfen, hielt sich an dem nahestehenden Türrahmen fest.
"Dieses Kissen hat ihnen ihre Schwester geschenkt... sie haben das Kissen immer gemocht... es hat ihrer Schwester gehört, bis sie einige tropfen Rotwein darüber geschüttet haben - nachdem sie die Reinigung heimlich bezaht haben, hat ihre Schwester ihnen geschenkt..." murmelte er, wie von Sinnen, während Schweißperlen auf seiner Stirn standen. Gefühle überkamen ihn und zittrig tastete er in seiner Jacke nach dem Flachmann.

Dieses Mal war es eine Vase, die neben seinem Kopf zerschellte.
"RAUS!"

Callum machte einen halben Schritt zurück, verlor das Gleichgewicht und knallte gegen die nur halb zugeogene Haustür, welche nach außen aufglitt. Mit einem dumpfen Aufprall landete er auf den Stufen, knallte diese hinunter und blieb auf dem nassen Boden liegen. Der Flachmann rutschte ihm aus der Jacke heraus, mit fahrigen Fingern schnappte er sich diesen und schüttete sich den Inhalt in die ausgedörrte Kehle wie ein Verdurstender. Wankend und mit aufgeschlagenen Knien stürzte er zurück ins Auto und gab Vollgas.

Es war ein Wunder, dass die Tür zum Revier noch in den Angeln hing und Charlie war bereits dabei, ihre Hand zu ihrer Waffe wandern zu lassen, ehe sie einen näheren Blick auf den Neuankömmling warf und ärgerlich fluchend die inzwischen gegriffene Waffe auf den Tisch knallte. "Was zur Hölle, Williams?!", herrschte sie ihn an, als er hereinstolperte.

Callum hob eine Hand, während er in das Revier reingestolpert kam. Er stieß dabei beinahe einen der großen Wasserspender um, der gefährlich hin und her wackelte, sich auf seinem kreisrunden Fuß drehte und schließlich stehen blieb. Er verschwand im Bad, welches viel zu hellhörig für die kleine Polizeistation war - was man danach auch in der ganzen Station hören konnte. Fünf Minuten später kam Callum mit blutunterlaufenen Augen und einer Serviette in der Hand. "Alles gut..."

Charlie blockierte seinen Weg, indem sie sich mit verschränkten Armen vor ihn stellte. Von Spaß und Witz war keine Spur mehr in ihrem Gesicht. "Ich würde das hier nicht als 'alles gut' bezeichnen", gab sie ihm kalt zu verstehen und deutete auf einen der Stühle hinüber, die an seinem Schreibtisch standen. "Und ich will auch keinen jämmerlichen Versuch mehr haben, das als Kleinigkeit hinzustellen. Was war los?"

Callum sah sie kopfschüttelnd an. "Ich war bei der Schwester und hatte einen kleinen Anfall. Nichts ernstes oder gar schlimmes - es ist alles in Ordnung. Wir sollten uns..." er stieß auf, hielt sich die Serviette vor den Mund. "Wir sollten uns nun um den verdammten Mörder kümmern - und der beste Hinweis den wir aktuell haben ist dieser Exfreund."

"Nichts Schlimmes, ja? Und der Alkohol? Was soll der Mist, Williams?!"

"Hat mein Therapeut mir empfohlen," erwiderte er staubtrocken. "Das Gesundheitssystem ist totaler Mist, hm?"

"Geben Sie mir den Flachmann", erwiderte Charlie und streckte ihm die Hand offen entgegen. Langsam reichte ihr das. Sie sollten einen Mord aufklären und was musste sie tun? Babysitten für einen arroganten Inspektor, der Glück hatte, wenn er sich morgens die Schuhe richtig herum anzog. Was sollte sie damit? Sie hatte genug zu tun!

Callum besah die andere, krallte seine Hände um den Flachmann und betrachtete diesen langen. "Lassen Sie mich dann in Ruhe?" grummelte er und drückte ihr den Flachmann in die Hand. Wo der herkam gab es noch mehr.

"Nein, werde ich nicht", gab sie schulterzuckend zurück, trat zum Waschbecken hinüber und leerte den Inhalt hinein. Gluckernd verschwand das Gesöff, das sie als Vodka erahnen konnte. "Ich nehme nicht an, dass das alles war. Man kauft Alkohol selten im Flachmann. Also, Williams ... was soll das werden? Ich kann keinen Partner brauchen, auf den ich mich nicht verlassen kann, weil er ständig nur an seine Flasche denkt wie an den nächsten Schuss."

Callum betrachtete den Flachmann, dann die Polizistin. "Ich habe kein Problem. Und bei allem was mir heilig ist sie sollten auch besser keins draus machen. Ich bin verdammt gut in meinem Job und ich muss mir nicht von jemandem der halb so alt ist wie ich sagen lassen was ich zu tun und zu lassen hab. Also entweder sie helfen mir jetzt den Dreckskerl einzubuchten oder ich geh alleine los!"

Diesmal sagte sie erst gar nichts, sondern langte nur hinunter zu der Jackentasche, in der zuvor noch die Schlüssel geklimpert hatten. "Klar. Los. Viel Spaß zu Fuß, alter Knacker. Ich kümmere mich derweil um Ihre Akte und um Nachricht an die Behörden."

Callum starrte die andere an und ballte die Hände zu Fäusten. Er knirschte mit den Zähnen und betrachtete die andere von oben bis unten. Er durfte diesen Job nicht verlieren. Dann säße er auf der Straße - bei allen Höllenhunden, diese Frau war die schlimmste Plage die er jemals kennen gelernt hatte. So unentspannt und unflexibel... "In Ordnung... was wollen sie?" fragte er leise und mit gepresster Stimme.

"Sie bei klarem Verstand." Charlie seufzte und ließ sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen, dann lehnte sie sich vor, bis ihre Ellenbogen auf der Tischkante ankamen und sie ihr Kinn auf die Hände stützen konnte. "Wir müssen einen Mörder finde, aber bevor wir das machen, sollten wir vielleicht mal klare Verhältnisse schaffen. Sie sind Inspektor und eigentlich - aber auch nur eigentlich - müssten Sie das hier besser beherrschen. Wie wollen Sie das schaffen, wenn Sie besoffen sind? Und was sollte mich davon abhalten, das zu melden? Geben Sie mir irgendeinen Grund, der nicht verbunden mit Augenrollen und einer Beleidigung ist."

"Ich habe Freunde in hohen Positionen," erklärte er trocken. "Oder zumindest Leute deren dreckige Wäsche ich kennen. Die werden nicht riskieren, dass sie mir wirklich ans Bein pissen..." er schüttelte den Kopf. "Aber darum geht es mir nicht - ich will hier keinen Ärger machen. Ganz ehrlich nicht," er ließ die Schultern hängen, während ihm immer schlechter wurde. "Was ist ihre Fähigkeit?" knurrte er schließlich leise. Er wollte nicht drauf rumreiten. Nicht drüber nachdenken Bei allen Höllenhunden - er war nicht hierher gekommen um über seine Probleme zu reden aber er musste einsehen, dass er alles verlierne würde wenn er diesen Bullterrier nich tzufrieden stellte.

Charlie war von der Frage irritiert, aber dann entschied sie, dass es ihm zu zeigen besser war, als es ihm stundenlang zu erklären. Sie nahm sich die Kaffeetasse, in der noch etwas ein Drittel Kaffee war, stellte eine zweite, leere, so hin, dass sie etwas hineingießen konnte und sah auf Williams Gesicht. Er sah zu, na immerhin. Als der Kaffe gerade zu fließen begann, hob sie die freie Hand und schnippste mit dem Finger. Die Geräusche um sie her erstarben, kein Atmen war mehr zu hören, kein Sirren eines Computers, kein Ticken der Uhr. Sie ließ die Tasse in der Luft los, die sich keinen Milimeter rührte. In merkwürdiger Pose eingefroren war auch Williams, bis sie ihn an der Schulter berührte.

Willams zuckte zusammen wie vom Donner gerührt. Um ihn herum war solch eine erdrückende Stille, dass er in der ersten Sekunde glaubte taub geworden zu sein. In der zweiten befürchtete er einen Schlaganfall. Dann erst realisierte er was geschehen sein musste. "Heiliger Bimbam!" knurrte er und seine Augen wurden groß. "Wurden Sie in Klasse C einsortiert?" fragte er nach und tippte auf den Kaffee, der wie eine Säule erstarrt war und eine seltsam cremige Konsistenz hatte.

"C2, um genau zu sein." Sie nahm die obere Tasse und der Kaffee begann, sich endgültig zu entleeren. Mit einem weiteren Schnippen ihrer Finger begannen auch die Geräusche um sie beide her wieder. Das Fax rödelte, das Telefon an der Anmeldung klingelte und sie ignorierte all das und musterte Williams. "Und Sie?"

Er stieß einen beeindruckenden Pfiff aus. "C2?" hakte er nach und schüttelte fassungslos den Kopf. "Und dann lässt man sie frei herumlaufen?" er lachte schallend auf. "Sie sind scheiße gefährlich..." erwiderte er nur und konnte kaum mehr als den Kopf schütteln. "Ich bin ein E Talent, ich empfange Visionen. Kann nicht steuern wann, wie oder was. ALkohol hilft."