Schatten im Zwielicht - Zwischen Auftrag eins und zwei

Calenleya lächelte sanft über die warmen Worte der anderen und neigte sacht den Kopf, so wie sie es oft bei den anderen gesehen hatte, wenn sie sich bei jemandem bedanken. Es war eine banale Geste, die sie noch immer nicht begriff, weil die Menschen sonst so sehr auf ihren Stolz pochten und hier doch ihren bloßen Nacken präsentierten, aber sie beließ es dabei - zum einen weil sie wusste, dass es keine wirkliche Antwort auf eine Gewohnheit gab und zum anderen weil sie die anderen nicht mit den seltsamen Fragen verärgern wollte.
"Ich wünschte, ihr würdet erkennen, wie ruhig und friedlich es hier ist und dass uns hier nichts Böses geschehen wird. Manchmal denke ich, all dieses Dunkel, das dort draußen ist, lässt euch befürchten, es würde immer etwas geschehen."

"Wir wurden anders erzogen als du und wenn man es genau nimmt, wurde auch jeder von uns anders erzogen als der andere. Wir wuchsen in unterschiedlichen Kulturen auf und viele davon sind nicht so friedlich wie das Leben hier in der Akademie. Was die Dunkelheit hier angeht ... ich für meinen Teil komme immer noch nicht damit klar, dass ein Gegner von uns nun für Informationen gefoltert werden soll und das auf Auftrag Salpikons hin. Wir sind ein kriegerisches Volk, aber Folter ist etwas, was noch viel abgrundtiefer geht als einen Gegner in einem ehrlichen Kampf zu töten. Das ist für mich auch Böses und Dunkelheit und sie ist in diesen Mauern und nicht davor." Svea zog die Beine zu sich herauf und setzte sich in den Schneidersitz, die Finger in ihrem Schoß. "Aber es ist müßig, immer wieder die gleiche Diskussion zu führen. Statt auf unsere Unterschiede sollten wir uns darauf besinnen, wo unsere Gemeinsamkeiten liegen. Wir haben uns lange genug darauf konzentriert, was uns unterscheidet."

"Ich mag den Gedanken daran nicht, was Salpikon Azaril antut ... es ist mir zuwider jemandem Schmerzen beizufügen, weil ich nicht daran glaube, dass sie freiwillig diesen Weg beschritten hat. Azaril gehört noch immer zu meinem Volk und der Öffner der Tore hat bereits mehrfach andere Wesen zu etwas gezwungen", gab Calenleya mit einem schweren Seufzen zu bedenken. "Aber ich halte auch Salpikons Plan des Erntefest-Massakers, wie er es nennt, für falsch, weil ich glaube, dass wir dort den falschen Weg beschreiten, aber er ist überzeugt von alledem und ich kann ihn davon nicht mehr abbringen. So gern ich es auch würde."

"Keiner von uns kann verändern, was ihn tief geprägt hat. Wir können es zum Teil beeinflussen, aber niemals wird dir jemand nehmen können, was du als Elfe von deinem Volk gelernt hast oder ich als Thorwalerin von meiner Sippe. Wir handeln alle nach dem, was uns beigebracht wurde und welche Erkenntnisse wir im späteren Lauf noch dazu gewonnen haben, mögen sie auch manchmal falsch sein." Svea zuckte einseitig mit der Schulter, während sie ihren Blick über das Wasser schweifen ließ, das endlich wieder blau schimmerte und sie nicht mehr abstieß, als wäre es etwas Bedrohliches. Die Sonne brach sich auf dem von einer winzigen Brise gekräuselten Wasseroberfläche und unzählige Sterne schienen dort zu schwimmen.

"Vielleicht hätten wir nur ein Gespräch mit ihr suchen sollen. Sie davon überzeugen sollen, dass das, was sie tut, der falsche Weg ist, aber ich fürchte jetzt ist es zu spät dafür", antwortete Calenleya und ließ ihren Blick dem Sveas folgen. Gern hätte sie die Elfe gerettet, hätte sie auf ihre Seite gebracht und damit auch den Schmerz Rohezals gelindert, welcher noch immer um den Verlust der einstigen Schülerin trauerte, die einst ausgesandt worden und im Kloster der Borbaradianer verloren gegangen war.
"Wie geht es dir?", fragte die Elfe dann wenig später. "Jetzt, wo sich auch für dich alles ändert. Es muss schwer sein."

Svea stockte kurz, seufzte und lächelte schief, aber nicht in die Richtung der anderen, sondern immer noch hin zu dem Wasser. Sie befand sich nun schon seit was - Jahren? - in dieser Gruppe und erst mit diesem Zeichen schien aufzufallen, dass auch sie nicht nur eine Kriegerin war, der nichts etwas anhaben konnte und sie ebenfalls eine Geschichte mit sich herumtrug. Es war ein unfairer Gedanke, aber alleine die Häufigkeit, mit der in den letzten Tagen gefragt worden war, stieß ihr etwas auf und wenn sie ehrlich war, vielleicht deswegen, weil sie am liebsten nicht über das Zeichen nachdenken wollte, sich gleichzeitig aber bewusst war, dass sie es musste. Es war ein Kreislauf aus Verdrängen, schmerzlicher Erinnerung daran und Erkenntnis, aus dem sie schwerlich ausbrechen konnte. Unweigerlich würde sie sich damit befassen, da gab es auch in ihrem Kopf keine Ausflüchte, aber jeder Moment, den sie es hinausschieben konnte, schien ihr wie eine Mischung aus Selbstbestrafung und Erleichterung zugleich.
Svea war im Begriff aufzustehen, als sie sich eines besseren besann, einen tiefen Atemzug ausstieß und sich nach hinten gegen die Rückenlehne sinken ließ, an ihren Fingerkuppen knibbelnd.

Es war nur ein ganz kurzer Stich, der ihr Innerstes durchzuckte und der sie dazu brachte nur kurz die Augen zu schließen. "Es tut mir leid, wenn dich meine Frage verletzt hat", sagte sie und ließ jenes Thema wieder hinten überfallen, weil sie spürte, wie ungern Svea darüber sprechen wollte. "Das lag nicht in meiner Absicht."

"Vermutlich bin ich es nicht gewohnt, so oft gefragt zu werden", gestand Svea und schob das heftige Aufwallen von Unbehagen zur Seite, das ihr die Kehle zuschnüren wollte. "Im Gegenzug zu Ediona, dir oder Rena hatte ich die Wahl, dieses Zeichen anzunehmen. Jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt. Mir war nicht bewusst, was es verursachen würde, ich hatte nur im Kopf, wie sehr wir all die Zeichen auf unserer Seite brauchen würden und dass wir keines verlieren sollten, so ungerne wir es auch tragen. Und es hat sich als weniger belastend erwiesen als ein Auge, das plötzlich aufflammt und Gegner zu Asche werden lässt, das mir Alpträume schickt oder mich verlässt, wenn ihm langweilig ist."

"Es ist mir wichtig, wie es euch geht. Das war es immer schon, Svea, und es tut mir leid, wenn ich dir bislang nicht das Gefühl gegeben habe oder dich zu selten gefragt haben sollte", antwortete Calenleya und betrachtete Svea von der Seite her, durchaus die kleinen Schuppen an ihrem Hals und der Schulter wahrnehmend, die sich ähnlich auszubreiten begannen, wie es ihre Tätowierung zu Beginn getan hatte, die jetzt ihren gesamten Körper einnahm und es ihr unmöglich machten, einen anderen Gedanken als den des Friedens zu fassen.
"Hättest du noch einmal dieselbe Wahl getroffen - jetzt, wo du weißt, was dieses Zeichen bedeutet?"

"Borbarad zu besiegen? All die zu retten, die ich liebe? Ja." Das Lächeln war längst von ihrem Gesicht verschwunden, als sie fortfuhr: "Herzen meiner besiegten Gegner zu essen? Einen Körper zu bekommen, der von Schuppen übersäht ist? So furchtbar es sich anfühlt ... ja, weil ich weiß, wofür. Ich bin nicht die einzige, die einen Preis für den Sieg zahlen muss, vielleicht sogar mit meinem Leben. Manchmal wünschte ich nur, ich hätte so ein klares Ziel, so ein Selbstverständnis wie du, für mein Zeichen. Mich dem einfach hinzugeben, weil ich eine Aufgabe erfüllen werde und mein ganzes Dasein dafür vorgesehen war. Weißt du, was mein Name bedeutet? Frei. Thorwaler sind abergläubisch beim Vergeben von Namen, manche warten monatelang, ehe sie einem Kind einen Namen geben, damit er zu ihm passt. Mein Vater erzählte mir einmal, dass sie sich längst auf einen Namen geeinigt, es im letzten Moment jedoch geändert hatten, als sie mich sahen. Es ist Ironie der Götter, dass ich nun eine Gefangene in meinem Körper zu werden scheine, um die Freiheit anderer sicher zu stellen. Oder es ist das, was meine Aufgabe ist - wer weiß?"

"Bist du denn wirklich eine Gefangene in deinem eigenen Körper?", stellte Calenleya die Gegenfrage, weil sie nicht verstand, weshalb ein paar Schuppen so schrecklich für die Menschen waren. Es waren nichts als Äußerlichkeiten, ähnlich den Zeichen, die sich jetzt auf ihrer Haut wiederfanden und die sich dann und wann bewegten.
"Mein Zeichen war für mich zu Beginn nicht selbstverständlich. Ich war einst Jägerin und ich wollte mithelfen all jene zu schützen, die ich begleitete - mein Zeichen machte es mir nach und nach unmöglich. Heute kann ich nicht einmal mehr daran denken jemandem weh zu tun. Dieses Zeichen ist meine Bestimmung und am Ende - wenn wir den Öffner der Tore besiegt haben - da werde ich zurück ins Licht gehen, weil meine Bestimmung erfüllt wurde. Es gibt keine Option, wie ich diesen Kampf überleben werde, Svea, und diese Zeit gemeinsam mit Salpikon und euch ist nur geliehen. Es tut mir leid euch am Ende in diesem Schmerz allein lassen zu müssen. Ich denke, das ist es, was Borbarad nicht versteht - sich selbst zu opfern für andere. Damit andere leben können."

"Wenig andere Dinge sind wir im Kopf, die für einen Thorwaler schlimmer sein könnten. Die Verbannung wäre noch eine davon, aber wenn ich Glück habe, werde ich niemals mit Schuppen nach Hause zurückkehren und mich diesem Ausstoßen stellen müssen. Entweder, all das verschwindet wieder oder ich werde damit sterben. Die Grauzone dazwischen ist nicht relevant. Aber ich weiß um dich und um die Tatsache, dass, je schneller wir diesen Kampf beenden, die Zeit mit dir weniger wird. Glaube mir, ich weiß es ... aber für einen Menschen ist es immer schwer, an den Tod zu denken, wenn man nicht gerade Makel ist." Sanft drückte sie Calenleyas Schulter, auf der das Hermelin gerade unter einem Träger hervor spitzte und blinzelte. "Mitgefühl und Opferbereitschaft haben wir diesem Schwarzmagier also schon voraus. Dann lass uns damit arbeiten, Schritt für Schritt, wir wissen ohnehin nicht, wie all das ausgeht."

"Der Tod ist niemals schlimm außer für diejenigen, die zurückbleiben. An der Tafel eurer Götter zu sitzen ist das, was viele von euch haben wollen. Für mich ist es nicht schlimm zu sterben - ich habe keine Angst davor, weil ich weiß, dass ich dann zurück dorthin gehen kann, woher mein Volk kommt und ich in ihr Lied aufgenommen werde", antwortete Calenleya und hob eine Hand, um sie sacht auf die der Jüngeren zu legen.
"Ich denke, dass entweder dein Zeichen dich am Ende verlassen wird oder du zu deinem Gott gehen wirst. Dass du vielleicht eines Tages ein Wal sein wirst, der gegen die Schlange kämpfen wird. Ich bin mir nicht sicher, was für dich am Ende die bessere Lösung wäre ... dafür habe ich zu wenig Verständnis dafür, aber für mich wäre es das Paradies."

"Noch sind wir am Leben", erwiderte Svea grimmig. "Die Vorstellung mag schön sein, nachher dort zu sein, wo ich am Ende immer sein wollte und sollte, aber ehrlich gesagt habe ich mir dazwischen ein längeres Leben vorgestellt. Mehr Leben. Mehr Zeit, mich würdig zu erweisen. Mehr Zeit mit meinen Lieben. Das hier ist jetzt meine Familie und ich werde nicht jede Minute damit zubringen, über den Tod zu sinnieren oder das, was dann ist. So lange ich kann werde ich alles dafür tun, wenigstens einen Teil von uns hier lebend wieder raus zu bringen und jeden unnötigen Tod meiner Freunde zu verhindern, damit sie so viel Zeit wie möglich haben." Langsam löste sie die Verspannung, die sich ihres Kiefers bemächtigt hatte und fuhr sich über die Stirn, die kühle ihrer Finger genießend, die ihr die heiße Haut beruhigte. "Wie geht es dir? Wir reden zu viel über mich."

Sacht streckte Calenleya die Hand aus und lud den eisigen Golem, der in einiger Entfernung stand ein näher zu ihr hinüber zu kommen. "Das ist Frostherz", stellte sie ihn vor. "Er erleichtert es mir hier zu sein und macht die Hitze für mich erträglich. Eigentlich war er nur zur Kühlung einiger Forschungen da bis ich gekommen bin. Jetzt ist er bei mir. Es geht mir gut - ich mag diesen Ort und die Reisen in andere Akademien. Meistens lerne ich dort sehr interessante Menschen kennen, nicht alle davon gut. Ich wünschte nur, es wären nicht immer so furchtbar warme Länder, die wir bereisen müssen ..."

Svea fröstelte, als der Golem näher kam, weil er eine Kälte ausbreitete, wie sonst nur die Gletscher auf den Bergen, die sie kannte. "Dann wirst du von hier aus weiter agieren?"

"Nein", antwortete sie und schüttelte den Kopf. "Es ist meine Bestimmung und meine Aufgabe bei euch zu sein und ich bin es gerne. Ich mag viele Orte in Aventurien, aber das heißt nicht, dass ich an diese Orte gebunden bin. Ich kehre zurück, sofern ich weiß, dass wir einen Augenblick der Ruhe haben, aber ich begleite euch natürlich weiterhin."

"Wie willst du hierher zurückkommen? Will Salpikon noch einen Stein erschaffen?"

"Es ist ein einfacher Zauber, der mich hierher zurückbringt. Wir sind verbunden und ich weiß stets, wo er ist. Er hatte doch auch die Möglichkeit uns in der Gruft zu helfen als die Mumien uns zu töten drohten."

"Das macht es natürlich einfach."

"Möchtest du noch einmal zurück? Bevor wir zum nächsten Auftrag aufbrechen? Deine Heimat noch einmal wiedersehen?", fragte Calenleya und schrägte den Kopf an. "Ich weiß nicht, ob es dir helfen würde, aber ich kann dich dorthin bringen. Die Möglichkeiten dazu haben wir hier."

"Es gibt ein paar Dinge, die ich zu erledigen hätte", gab Svea zurück, nachdem sie eine Weile das Für und Wider abgewogen und mit den Fingern unbewusst über ihren Hals gestrichen hatte. Noch ließ sich verbergen, was dort an ihr wuchs und die Sehnsucht nach der Heimat würde nicht weggehen, aber vielleicht mit einem letzten Besuch besser werden.

"Dann sollten wir jetzt gehen, damit du genug Zeit dafür hast", lächelte sie und erhob sich von ihrem Platz, Svea eine Hand entgegen streckend, um sie aufzufordern sie zu begleiten.

"Vorher muss ich den anderen Bescheid geben. Ich kann nicht einfach verschwinden."

"Wir müssen ohnehin zu der Sphäre und die ist gerade noch innerhalb der Kellergewölbe. Während ich die Sphäre vorbereite und Salpikon informiere, kannst du den anderen Bescheid geben",