Schatten im Zwielicht - Zwischen Auftrag eins und zwei

"Nicht flüstern! Wenn man etwas zu sagen hat, dann sagt man es laut heraus!" erwiderte Ohm mit einem Blick über die Schulter, während sie auf den großen Marktplatz zumarschierten. Links und Rechts neben ihnen erhoben sich flache, lange Häuser mit Rebdächern, die aktuell von einigen Thorwalern von Moos befreit wurden, andere legten neues Reet auf ihre Häuser und bereiteten sich auf den kommenden Winter vor, der mit immer größeren Schritten heraneilte. "Also Svea - zur Langhalle oder zur Halla?"

"Zur Halla", kam die kurze Antwort, ehe sie über sich selbst die Stirn runzelte. Sie war zu lang fort gewesen, hatte zu oft den Mund gehalten, weil sie sich im Rest der Welt nicht halb so gut auskannte, wie die anderen. Es war Zeit, diesen merkwürdigen Charakterzug abzulegen.

Calenleya betrachtete Svea und ließ ihren Blick dann hinüber zu dem alten Mann wandern, der doch um so vieles jünger war als sie selbst. "Es tut mir leid. Sie sagte nur, es würde vielleicht Sinn ergeben, wenn ich hier bliebe, um die Walwütigen zu beruhigen", äußerste sie leise während sie den beiden Rosenohren folgte und die anderen Menschen betrachtete, die jetzt hier einträchtig nebeneinander her gingen. Sanft spürte sie das Kitzeln des Hermelins unter ihrer Haut und sie streckte ihre Hand aus, entließ das kleine Hermelin, wo es silbrig blitzend seinen Weg durch die Häuser des Ortes huschte.
"Wenn du möchtest kann ich zu deinen Walwütigen gehen während du hier mit allen sprichst, Svea. Ich möchte dich nicht stören."

Svea hielt an und sah dem Hermelin nach, seufzend und die Schultern hängen lassend. "Bei allem, was mir heilig ist ... das kann doch nicht gut gehen", murmelte sie unhörbar, dann rollte sie mit den Augen und stellte sich vor, wie die Thorwaler singend und sich umarmend über die Plätze tanzen würden, wenn die Elfe länger hier blieb. Aber in einem hatte sie einen Punkt. "Du könntest ihnen sagen, wo ich bin, wenn du so lieb wärst. Ich möchte sich gerne wiedersehen, aber du störst nicht, glaub mir das."

Ohm blinzelte ob der Antwort der Elfe, sah dem Hermelin nach, dass zwischen den Häusern verschwand und schien erst wieder einzusteigen, als Svea und Calenleya fertig miteinander diskutiert hatten. "Ihr Kinder des Lichts überrascht mich selbst auf meine alten Tage immer wieder - ich mag schon auf den Inseln im Nebel gewesen und deren Wunder erkundet haben. Aber Tättowierungen mit eigenem Willen, die sich von der Haut ihres Trägers lösen können?" er schüttelte ungläubig den Kopf. "Ihr scheint mir ein gutes Omen zu sein Frau Calenleya!" erklärte er in ihre Richtung, ehe er den Weg Richtung Halla einschlug.

"Nicht, wenn ich Svea glaube", antwortete Calenleya mit einem milden Lächeln, neigte dann aber sacht den Kopf. "Aber danke, Ohm Folkersson, Freund der Fey. Ich hoffe, Fenvariens Grüße sind bei dir angekommen. Er sprach gut von dir", fügte sie hinzu und wandte sich dann zu Svea hinüber.
"Ich gehe zu den Walwütigen und sage ihnen, dass du zurück gekehrt bist. Lass dir ruhig Zeit."

"Danke." Die Thorwalerin wandte sich der Halla zu, vor der sie inzwischen angekommen waren und straffte die Schultern. Thorwal war ihr immer groß vorgekommen, groß und trubelig, jedenfalls bis sie in Gareth gelandet war und in Khunchom und all den anderen großen Städten. Das hier war ein anderes Leben, ein einfacheres, was die Behausungen betraf, ein ehrlicheres, wenn es um die Kontakte von Mensch zu Mensch ging, aber kein simples. Und doch eines, das sie vermisste. Sie hasste die Ränkespiele der Adligen und das Kräftemessen innerhalb der Kirchen und auch gegeneinander. Es war so weit von Respekt entfernt, wie man sich nur vorstellen konnte.
Die Seeluft drang ihr in die Nase, frisch und herb und der Winter hatte all die Seealgen fortgespült, die sonst ihren Tribut dazu gaben. Der Wind zauste an ihren Haaren und sie gab sich nicht mehr die Mühe, sie hinter die Ohren zu streichen. Mirham hatte keinen nennenswerten Wind, keine frische Luft und die Leute dort erdrückten sie mit ihrem allüberbordenden Wissen, ihrem Vorsprung an Entwicklung, den sie nicht müde wurden, zu betonen.
Ihre Finger berührten die großen Tore und sie fühlte das spröde Holz, dort, wo der Riegel vorgeschoben wurde. Wenn es auch das letzte Mal sein sollte, dass sie hierher zurückgekommen war, es würde ihr immer in Erinnerung sein.

Die Tore öffneten sich und ließen Svea in die große Halla einkehren - hier gab es, anders als in den Krichen des Mittelreichs keine Kirchbänken. Bei einer Messe des Swafnir stand die ganze Gemeinde und lauschte gebannt den Worten des Diar. An den Wänden hingen die Schilde aller großen Ottajaskos von Thorwal-Stadt und direkt unter der Decke hing ein Blauwal aus lackiertem Holz, der über der Menge zu schweben schien. Licht fiel durch kleine Fenster und eine Stimme ertönte von oben: "Ich bin gleich da! Ich muss nur noch den Wal sauber machen!" einige Augenblicke später, kletterte ein großer Thorwaler mit breitem Kreuz und in der Gewandung eines Swafnir-Geweihten von dem Wal hinunter. Ôle Swafgardson war ein Bär von einem Mann, mit rotem Vollbart und langen Haaren - in beides waren Perlen aus Knochen geflochten. "SVEA! Bei Swafnir, dich hätte ich als letztes erwartet, das Wohl!"

"Und doch bin ich hier und gehe dir jetzt auf die Nerven", grinste die andere zurück. "Was hast du gemacht, unserem guten alten Swafnir den Rücken geschrubbt?" Es lag kein Spott in ihrer Stimme, als sie dabei hinauf zu dem großen Pottwal sah und ein Gefühl der Sicherheit fühlte.

"Auch ein Gottwal will gepflegt sein!" erwiderte Ôle lachend. "Aber nein, ich muss ihn doch für die nächste Messe herausputzen! Wenn ich erneut jemanden zusammenfalten muss und deswegen aufgeschreckte Möwen aus dem Wal flattern geht das einfach nicht!" er schüttelte den Kopf. "Kein Respekt diese Tiere!"

"Möwen in unserem Wal? Das geht wirklich nicht", stimmte Svea zu und lachte leise bei der Vorstellung. Es war ein merkwürdiges Geräusch, eines, das sie so lange nicht mehr von sich selbst gehört hatte. Als Ôle schließlich endlich am Boden angekommen war, griff sie seinen Unterarm und zog ihn in eine feste Umarmung. "Es tut gut, dich zu sehen."

"Das kann ich von dir nicht behaupten!" erwiderte Ôle und machte dabei eine ernste Miene. "Wann immer du auftauchst geht ein Teil unseres Tempels kaputt! Wage es gar nicht erst in die Bibliothek zu gehen! Wenn du ein Buch willst, dann nenn mir den Titel und ich bringe es dir gerne!"

"Das ist einmal passiert, Ôle!", begehrte Svea auf und verschränkte die Arme vor sich. "Ein einziges Mal und ich habe wochenlang die Bibliothek wieder aufgebaut, wenn du dich erinnerst, während du dir ständig irgendetwas zu Essen aus den Lagern geschnappt hast und Beine baumelnd auf einer Kiste gesessen hast, wohlgemerkt nicht gerade sparsam mit ... hilfreichen Vorschlägen."

"Ich fand - mach das nie wieder - war ein durchaus hilfreicher Vorschlag. Immerhin hast du danach nie wieder die Bibliothek in Schutt und Asche gelegt!" erwiderte Ôle und schlug Svea auf den Rücken. "Also mach dir mal keine Gedanken. Was kann ich für dich tun?" er ließ die eigenen Schultern kreisen. "Ich hab dich vermisst Kleines!"

"Ich dich auch, Ôle, ich dich auch. Die Zeiten dort draußen ändern sich. Was ich euch gesagt habe, als ich zuletzt hier war, hat sich inzwischen bestätigt. Die Kirchen der Zwölfe sind alarmiert und gehen inzwischen zum Teil gegen Borbarad vor, aber Thorwal ist bereit." Sie heftete ihren Blick bei den nächsten Worten auf den Wal über sich. "Von den Kindern und von Tjark weiß ich ... wenig. Sie scheinen auf einem Schiff zu sein, entführt von Xeraan, aber das einzige Mal, als ich es sah, gab es keinerlei Möglichkeit für mich, dorthin zu gelangen ... glaub mir, wenn ich nur gekonnt hätte ..." Wütend trat sie gegen den herumliegenden Hammer, der auf dem Boden lag, weil Ôle ihn dort liegen lassen hatte.

Der Hammer flog weiter als Ôle es auch nur im Ansatz vermutet hatte, knallte gegen eine Säule und blieb donnernd in einer Säule stecken. Wie vom Donner gerührt sah Ôle Svea an, nickte dann - halb anerkennend, halb furchtsam. "Du brauchst Schnaps", beschied er und ging zu einem der hölzernen Reliquienschreine, zog daraus eine bauchige Flasche hervor und hielt sie Svea entgegen. "Der beste Selbstgebrannte - gesegnet von Swafnir selbst"

Der Atemzug, den Svea nahm und hielt ... und sehr lange anhielt, ehe sie ihn zitternd wieder ausstieß, war tiefer als jeder andere an diesem Tag. "Verzeih, Ôle." Sie griff dankbar nach der Flasche und setzte sich an ihren Lippen an, dann nahm sie einen tiefen Zug. Der Schnaps brannte in ihrer Kehle und wärmte sie von innen, wie es keine heiße Suppe je gekonnt hätte. Noch dazu betäubte der Schnaps auch all die Gefühle, die gerade in ihr aufwallten und Anerkennung für ihr Dasein wollten.

"Wofür? Jetzt habe ich nur einen Grund mehr endlich hübsche Schnitzereien auf die Säulen zu bringen. Ich habe über SZene aus den Sagas und Skalden-Sängen nachgedacht!" erklärte er grinsend. "Auch wenn du mir wohl helfen wirst, immerhin hast du die Halla des Swafnir kaputt gemacht. Zum zweiten Mal."

"Vielleicht kann meine Begleitung helfen. Sie kann wesentlich besser malen als ich und du möchtest bestimmt keine Kritzeleien auf dieser Säule haben, oder?" Alleine der Tonfall sprach von Hoffnung, aus dieser Aufgabe ausgenommen zu werden. "Und schnitzen kann ich schon dreimal nicht. Ich würde dabei höchstens unfreiwillig mein Blut opfern und so, wie ich Swafnir kenne, wäre es ihm lieber, wenn ich das im Kampf tun würde."

"Bei Swafnirs Fluke - du bist auch zu garnichts zu gebrauchen, oder?" feixte Ôle und schlug Svea lachend gegen die Schulter. "Erinnere mich daran, dass wir eines Tages zusammen ein Boot bauen, nur damit du mal eines gebaut hast! Du warst schon immer eine hervorragende Geweihte, aber eine furchtbare Holzbearbeiterin!" er grinste breit. "Von mir aus hol dir Hilfe - in der Gemeinschaft sind wir stark."

"Irgendeiner muss hierbleiben und Swafnir dienen und einer muss raus in die Welt - das wäre dann wohl ich. Immerhin lebe ich noch, obwohl ich hier regelmäßig für tot erklärt werde, oder nicht?", neckte sie ihn, gab den Schnaps zurück und trat hinüber, um den Hammer wieder aus dem Holz zu ziehen.

"Naja, du siehst ehrlich gesagt nicht sonderlich gut aus, ein wenig grün um die Nase, aber das kann am Licht liegen!" neckte er sie und schüttelte lachend den Kopf um selbst einen großen Schluck zu nehmen.

Grün um die ... Nase ...? Svea biss sich auf die Lippe. Der kleine Ausrutscher eben konnte doch nicht ernsthaf t...? Als sie sich kurz umwandte, vorgeblich um sich umzusehen in der Halla, betastete sie ihre Nase und fühlte - nichts. NIchts, was dort nicht hingehörte und keine Schuppen, denn dafür waren ihre Fingerkuppen inzwischen wirklich sensibilisiert. "Wenn du es so genau wissen willst, Ôle, die letzten Jahre waren nicht gerade ein Spaziergang", erwiderte sie schließlich, um das Grünliche irgendwie noch in etwas anders zu ziehen.

"Das dachte ich mir," erwiderte er nickend und seine Miene wurde ernster. "Ich habe mich auch an der Suche nach Tjark und den Kindern beteiligt, wir konten nichts finden. Auch für uns war das schon schlimm - ich kann nur ahnen wie es für dich gewesen sein muss. Aber bei Swafnir - Tronde hat einen Kaperbefehl für jedes Schiff mit schwarzen Segeln rausgegeben! Er kann sich nicht ewig verstecken, das wohl!"

"Ihr müst vorsichtig sein", wandte Svea besorgt ein und griff Ôles Schulter. "Derjenige, der dort auf dem Schiff ist, ist vermutlich nicht mit ein paar Axthieben zu besiegen. Wir würden nur noch mehr verlieren - und ich möchte nicht von dir Abschied nehmen."