Schatten im Zwielicht - Zwischen Auftrag eins und zwei

Svea nickte nur kurz, ehe sie davoneilte, um irgendjemanden zu finden, dem sie von diesem Vorhaben berichten konnte. Vorzugsweise jemand, der es den anderen sagte, denn die Zeit, jeden abzuklappern, hatten sie wahrlich nicht.

Rena hob die Augenbrauen, als Svea beinahe schlitternd vor ihr zum Stehen kam , kaum dass sie die Tür nach draußen geöffnet hatte und ihre Finger glitten bereits zu Schwert und Dolch an ihrer Seite, weil sie befürchtete, sie würden von irgendetwas oder irgendjemand angegriffen werden. Svea war normalerweise niemand, der so ein Tempo an den Tag legte - das erwartete sie eher von Ediona und umso mehr brachte es sie jetzt dazu skeptisch zu bleiben während sie die Gestalt der Freundin noch einmal betrachtete. Keine Rüstung, keine direkten sichtbaren Verletzungen - offensichtlich kein Angriff.
"Guten Morgen?"

Alleine der schnellen Reaktion von beiden lag es, einen Zusammenstoß zu verhindern und Svea streckte die Hand aus, um sich am Türrahmen Halt zu suchen, ehe sie Rena musterte. "Du musst mich nicht filetieren", kommentierte sie, bis Rena die Hände wieder von den Waffen löste - im Falle der rechten Hand zog sie einfach nur die geschlossenen Finger wieder aus dem Heft, was wirklich merkwürdig war. "Calenleya hat mir angeboten, noch einmal nach Thorwal zurückzukehren. Nicht für lange, keine Sorge", fügte sie hinzu, als sie Renas Gesichtsausdruck sah. "Aber es wäre vielleicht gut, mit meiner Kirche zu sprechen und ... ein paar Dinge zu regeln, jetzt, wo Tjark auch nicht da ist."

Einen kurzen Moment lang brauchte sie bis sie begriff, was Svea ihr das gerade erzählte, dann aber nickte sie langsam. Thorwal ... die Reise über die Sphäre. Rena nickte noch einmal und zog Svea dann mit der Linken in eine feste Umarmung. "Kann ich verstehen", sagte sie ihr leise. "Lass dir die Zeit, die du brauchst. Wir kommen hier zurecht. Pass nur bitte auf dich auf. Wenn du Hilfe brauchst, ruf uns."

"Das werde ich", antwortete sie, erwiderte die Umarmung und fügte leiser hinzu "Dasselbe gilt für dich. Ich weiß, wie sehr dir das hier zusetzt."

"Mach dir um mich keine Gedanken", antwortete sie und wuschelte ihr noch einmal mit der Linken durch die blonden Haare, ehe sie sich von Svea wieder löste und die Haltung straffte. Sie nutzte die Hand nicht, Savertins Worte hallten noch immer in ihren Ohren wieder und trieben sie immer wieder erneut dazu an, sich damit zu befassen. Vielleicht hatte er Recht und sie war wirklich nachlässig gewesen, hatte sich auf das Offensichtliche verlassen. Sie war faul geworden über all den Luxus, in dem sie in den letzten Monaten ihre Tage und Nächte abseits von Katakomben verbracht hatten - sie hatte die Übungen aus den Augen verloren und vielleicht half genau das jetzt dabei ihre Gedanken wieder zu ordnen. Raus aus dem Luxus, wieder zurück zu den Übungen. Fokus, die Hand und das Verschwinden durfte sie nicht länger aufhalten.
"Ich halt dir den Schwarzmagier solang vom Hintern wie nur möglich."

"Das wäre nett. Macht keinen Unsinn!" Svea wusste, ihre Worte waren nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, was Rena anging, aber es war ein Anfang. Sie würde einfach immer wieder damit ankommen, aber für ein paar Stunden musste sie sich selbst erlauben, ihre Geschichte in Ordnung zu bringen und solange niemand sah, was unter ihrer Kleidung war - und bei aller Liebe, es gab keinen Grund dazu - würde alles gut gehen.

"Geh schon", forderte sie die Ältere auf und lächelte ihr sacht zu, bestätigend noch einmal nickend. Svea brauchte die Zeit in ihrer Heimat, brauchte gerade ein wenig mehr Halt, den sie ihr hier nicht geben konnten - nicht in dieser Umgebung, die ständig von Tod und Verderben begleitet wurde und in der sie nicht wusste, wem sie überhaupt noch vertrauen konnten. Sie selbst wusste, wie viel ihr die kurzen Besuche in Havena brachten und wie häufig sie Cuanu davon abgehalten hatte, einfach alles hinzuwerfen, weil sie nicht mehr konnte und keinen anderen Weg mehr gewusst hatte. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie noch immer stand und einen Schritt nach dem anderen machte - immer weiter nach vorn, denn das war der Weg, den sie gehen würde. Für Svea hoffte sie jetzt, dass sie in Thorwal ebenso sehr aufgefangen wurde - dass das Treffen mit ihrer Familie sie wieder erden würde, ihr neue Kraft geben würde, damit die neuen Aufträge sie erwarten würden.
"Mach du keinen Unsinn!"

Die Reise dauerte länger als die erste und Svea war dazu übergegangen, sich auf den Boden der Sphäre zu setzen, die Augen zu schließen und zu hoffen, es möge einfach schnell vorüber sein. Was sie dort draußen im Limbus sah, war in den seltensten Fällen gut und sie wollte sich wenigstens ein bisschen Hoffnung bewahren. Außerdem wäre es ihr nicht gut bekommen, wieder die verdammte Flöte dort draußen zu sehen, die nutzlos festhing, wo niemand mehr sie erreichen konnte, sie selbst schon gleich dreimal nicht.
Calenleya war still während dieser Reise, musste sich konzentrieren und steuerte sie so zielgerichtet, als hätte sie niemals etwas anderes getan. Das magische Verständnis dafür fehlte Svea komplett. Vielleicht hätte sie noch mit Zunge voraus ... - nein.

~*~

Die Ankunft war unspektakulär und weil nichts um sie her brennen konnte - zu viel Wasser sei Dank - war es nur ein rascher Ausstieg, der folgte, bevor Svea sich kurz an Himmel, Praiosscheibe und ihrem inneren Instinkt orientierte, ehe sie die Richtung nach Thorwal einschlug. Sie hätte gerne irgendetwas sinnvolles gesagt, doch ihr Innerstes war in Aufruhr, sie konnte kaum klar denken und die Kälte schien sie wie zu einer Eisstatue gefrieren lassen zu wollen. Waren die Winde und die Winter hier schon immer so kalt gewesen oder es nur der heftige Unterschied zu der Akademie aus der sie aufgebrochen waren?
"Elfen sind willkommen in Thorwal", ließ sie die andere dann doch wissen, um überhaupt etwas zu sagen. "Aber du weißt das bereits, du warst schon einmal hier."

Die Kälte wirkte erholsam und sorgte dafür, dass die Anstrengung der Reise, stetig einer einzigen Linie nach und nur ab und an die Richtung zu verändern, ihr weit weniger schlimm vorkam als in den ersten Momenten, in denen sie es mit Mirhibans Hilfe gelernt hatte. Die Anfänge waren holprig gewesen, immer wieder hatte sie korrigiert werden müssen - heute wirkte all das so einfach. Erleichterung durchströmte sie, als sie die weißen Wölkchen sah, die ihr Atem in der Luft malte und lächelte darüber weich.
"Es war ein Abenteuer", sagte sie zur Antwort und nickte langsam, sich nur sehr gut an Golodiron und Fenvarien erinnernd, die sie durch die Reise hierher kennen gelernt hatte. Damals hatten sie den Weg über ein Bild zu den Inseln im Nebel gefunden - jenes sagenumwobene Reich, das sie unbedingt einmal hatte sehen wollen, noch bevor sie zurück ins Licht kehren würde. "Und es ist lang her. Selbst für mich."

Svea deutete den Trampelpfad hinunter, der ihr Weg sein würde und schlug dann selbigen ein. "Wie lange ist das her? Die Zeit verfliegt so schnell."

"Beinahe vier Jahre. Damals war es genauso kalt wie jetzt", antwortete sie und raffte das Kleid, einen kurzen Blick hinüber zu der Sphäre werfend, die sie vor neugierigen Blicken verborgen hatte und zu der sie wieder zurückkehren würden, um zurück nach Mirham zu reisen, sobald Svea hier zur Ruhe gekommen war. "Freust du dich heim zu kommen?"

"Ich war seit zwei Jahren nicht mehr hier, die Kinder und mein Mann sind seit über drei Jahren fort - und ich komme mit wenigen guten Neuigkeiten, das trübt meine Vorfreude etwas und macht mir ein schlechtes Gewissen." Sie zuckte mit den Schultern und ging sicheren Schrittes den Weg weiter abwärts, knirschende Steine unter ihren Füßen, die sich tiefer in den Sand gruben. "Ich freue mich auf meine Heimat, versteh mich nicht falsch, aber das, was es zu meinem Zuhause in allen Stürmen macht, ist fort."

"Svea?" die altertümliche Weise der Zitter, welche zuvpr die ganze Zeit beinahe wie magisch in der Luft gelegen und doch die Szenerie mehr begleitet denn dominiert hatte verklang, als der Name an ihre Stelle trat. Das, was zuvor wirkte wie ein grauer Stein, erhob sich, legte den grauen Mantel mit Fischgrätenmuster ab und blinzelte unter buschigen Augenbrauen zu Svea hin. Dort - gekleidet in eine Tracht, die einem Skalden würdig war, stand Orm Folkersson - aufgrund seines Alters und des Respekts, dem ihm alle in Thorwal entgegenbrachten liebevoll nur Ohm Folker genannt. "Bei Swafnirs Fluke! Hat dich Frenjara herangeweht?" er legte seine Zitter bei Seite und trat auf die Thorwalerin zu. "Wir dachten du seist tot!"

Erschrocken hatte Svea bereits nach ihrer Waffe gegriffen und Calenleya hinter sich geschoben, doch als sie Ohm erkannte, lächelte sie sacht. "Du hättest beinahe ein sehr unrühmliches Ende gefunden", ließ sie ihn wissen, als sie die Axt sinken ließ und ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen versuchte. "Und wie du siehst - tot bin ich noch nicht. Genauso wenig klein zu bekommen wie du."

Ohm lächelte sanftmütig. "Recht hast du - kleinzubekommen bin ich nicht, und unrühmlich wäre mein Ende auch nicht geworden, selbst wenn du Jungspund nach deiner Axt gegriffen hättest!" erwiderte der alte Skalde und trat zu Svea heran, streckte seine Hand aus und umgriff fest ihren Unterarm. "Wo warst du?" fragte er leise. "Der Hetmann der Hetleute Tronde Torbenson hat jedem verboten Anspruch auf dein Haus und das deines Mannes zu erheben - aber es gibt schon einige Clans, die sich gerne das Land unter den Nagel reißen würden. Wärst du nicht binnen Jahresfrist zurückgekehrt, hätten sie es sich mit SIcherheit genommen!" erklärte er und trat nun neben sie. "Was führt dich nach Thorwal? Bringst du Nachricht aus der Ferne?"

"Dann wird es erst einmal Zeit, klar zu machen, wem das Land und das Haus darauf gehören, wo auch immer ich gerade in der Weltgeschichte stecke", gab Svea entschlossen zurück, nachdem sie ihn samt traditioneller Begrüßung einfach in eine kurze Umarmung gezogen hatte. "Ich komme mit wenig Neuigkeiten und kaum welchen davon gut. Aber bevor ich das alles mehrfach erzähle ... erzähl du mir, was sich hier zugetragen hat." Sie löste sich von ihm und deutete auf ihre Begleitung. "Du erinnerst dich an Calenleya?"

"Die Elfe aus Olport!", erinnerte sich Ohm - und das äußerst gut, wiederholte er doch jene alte Begrüßung der Elfen, die er einst auf seinen Reisen gelernt und verinnerlicht hatte. "Aber selbstverständlich erinnere ich mich!" er schenkte auch Calenleya ein strahlendes Lächeln. "Sanyasala feyiama. Nurd’dhao!" dann wandte er sich wieder an Svea. "Was hier geschehen ist? Nicht viel - die Winterstürme werden heftiger, die Fischgründe weniger - wir haben Fischsterben. Die Söderland-Ottajasko vhat ihr Siedlungsgebiet bei Gerasim verlassen und zieht nach Kirma, das liegt auf halbem Weg zwischen Riva und Norburg. Ansonsten ist Phileasson aktuell fort - er ist Richtung Olportsteinen gesegelt. Dort soll jemand Hrannga gesehen haben! Ich wollte erst mit, aber ich glaube nicht, dass das eine  gute Saga wird. Wenn Hrannga wahrlich aufgetaucht wäre, würde Olport bereits in Flammen stehen!"

"Also nichts, was vorher nicht auch schon geschehen wäre", erwiderte Svea mit einem halben Lächeln und folgte ihm den Weg weiter Richtung Stadt, die man inzwischen schon in der Ferne erkennen konnte. Sein Tempo war langsamer und vorsichtiger geworden, deshalb ließ sie ihn vorangehen und passte sich an. "Und natürlich lässt er sich sowas nicht entgehen, er ist und bleibt einfach ein Abenteurer durch und durch. Das wird ihm auch Naya nicht austreiben, so ungerne sie ihn aus ihrer Sicht entlässt."

"Nun, sie hat ihn auch diesmal nicht aus der Sicht gelassen haben," erwiderte Ohm leise und zuckte mit den Schultern. "Sie ist mit ihm mitgesegelt - beide auf dem Seeadler gen Nordosten, aber so sind sie nun einmal..." er brachte ein breites Lächeln zustande. "Aber du hast mir nun noch immer nicht gesagt was dir hierher treibt," erinnerte sie Ohm. "Denn ich habe nicht das Gefühl dass du bleiben willst."

"Die Zeit rennt mir tatsächlich etwas davon, Ohm", gestand die Jüngere lächelnd. "Ich muss sehen, ob ich es noch bis nach Olport schaffe, um zum Tempel zu kommen, aber vorher muss ich mich darum kümmern, dass dieses Haus noch da ist, wenn Tjark zurück kommt."

Ohm nickte verständnisvoll. "Natürlich willst du zum Haupttempel deiner Kirche, das Verstehe ich - aber wenn du schnell nach Olport willst, dann bleibt dir wohl nur der Meerweg. Mit etwas Glück findest du eine Ottajasko die dahin unterwegs ist, aber von hier aus sind es selbst mit einem schnellen Segler fast 56 Stunden reine Fahrzeit - du wirst also wohl eine gute Woche brauchen," gab Ohm zu bedenken.

"Dann muss ich es anders lösen", entschied sie kurzerhand und zuckte mit den Schultern. "Ich hätte auch vorher darüber nachdenken müssen, aber es war ein sehr ... kurz entschlossener Besuch hier."

"Besuch doch erst einmal Ôle in der Halla des Swafnir," schlug Ohm Folker vor, während sie sich der Stadtmauer Thorwals nährten. Um sie herum herrschte fleißiges Treiben - viele Thorwaler pflockten Stockfisch auf großen Stöcken auf und trugen Krabben in großen Körben hinter die Stadtmauer. Gerade rempelte ein blonder Hüne einen mit weniger Haar, dafür aber deutlich mehr Bart an - gerade schienen die beiden aufeinander losgehen zu wollen, doch als SVea, Ohm und Calenleya näher kamen, entschuldigten sie sich mit einem mal höflich beieinander und luden einander - unter Verwendung großer Gesten - gegenseitig auf einen Krug Met ein.

"Weißt du, Calenleya ... vielleicht sollte ich dich einfach hierlassen und das Problem mit den Walwütigen wäre ein für alle Mal gelöst?", raunte Svea der anderen zu und runzelte die Stirn über das Gebaren der Thorwaler, an denen sie vorbei kamen. Das hätte ihre jahrelange Aufgabe und ein Vielfaches einfacher gemacht, stellte sie nun fest.